Das fuenfte Imperium
Puschkinskaja«, sagte ich dem Fahrer. *
Der nickte.
Den Rest der Fahrt schwiegen wir - ich wollte nicht, dass der Fahrer, der uns hin und wieder über den Spiegel beobachtete, etwas mitbekam. Er sah aus wie der Darsteller des amerikanischen Präsidenten in einem Middle-Budget-Disaster-Movie: strenger dunkler Anzug, rote Krawatte Ton in Ton, beherrschtes, müdes Gesicht. Dass ein solch steiler Typ uns kutschierte, schmeichelte mir.
Vor dem Shangri-La-Casino stiegen wir aus.
»Wohin gehen wir?«, fragte Hera.
»Den Twerskoi Bulwar runter«, schlug ich vor.
Vorbei am Springbrunnen und dem im Benzindunst schmachtenden Puschkin auf seinem Sockel liefen wir die Treppen zur Unterführung hinab.
Mein erster Biss fiel mir ein. Der Tatort lag ganz in der Nähe. Es heißt ja, den Täter ziehe es immer wieder dort hin. War das der Grund, weshalb ich den Fahrer gebeten hatte, uns hier abzusetzen?
Hera zu beißen wäre keine gute Idee gewesen - das hätte unserem Spaziergang ein schnelles Ende bereitet. Nein, diese Prüfung musste ich ohne Spickzettel bestehen, so wie jedermann. Das war die Rache ... Unsicherheit ergriff mich, beinahe ein Schwächeanfall. Ich beschloss, dieses Gefühl schleunigst niederzuzwingen - am besten mit einer starken, ins Schwarze treffenden Sentenz, die Scharfsinn und Beobachtungsgabe unter Beweis stellte.
»Seltsam«, sagte ich. »Als ich klein war, gab es hier unten nur ein paar einzelne Stände. Dann rückten sie aufeinander zu, und jetzt sind sie zu einer Mauer verwachsen ...«
Ich deutete mit dem Kopf auf die gläserne Front.
»Ja«, sagte Hera gleichgültig. »Jede Menge Konzentrat.«
Wir verließen den Tunnel auf der anderen Straßenseite und liefen zum Twerskoi. Als wir die großen Granitschalen am Ende der Treppe passierten, war ich nahe daran anzumerken, dass in ihnen immer irgendwelcher Müll lag, leere Flaschen vor allem, doch dann verkniff ich mir fürs Erste eine weitere Demonstration von Scharfsinn und Beobachtungsgabe. Doch irgendetwas musste ich sagen, das Schweigen wurde langsam peinlich.
»Woran denkst du?«, fragte ich.
»An Enlil. Wie er wohnt. Das Hamlet über dem Abgrund. Ziemlich pathetisch. Aber mit Stil. Das können sich die wenigsten leisten.«
»Und dass man nicht an der Stange hängt, sondern am Reif«, sagte ich, »das hat was Philosophisches.«
Zum Glück fragte Hera nicht nach, was denn das Philosophische daran war, ich hätte es schwerlich zu sagen gewusst. Sie lachte nur - anscheinend hielt sie es für einen Witz.
Mir fiel wieder ein, dass ich Heras Photo als UserPic im Livejournal gesehen zu haben glaubte. Vielleicht hatte sie dort einen Account? Ich hatte einen - mit an die fünfzig registrierten Friends (was nicht hieß, dass ich ihnen alle Details meines Lebens anvertraute). Als Gesprächsthema war es jedenfalls geeignet.
»Sag mal, kann es sein, dass ich dein Gesicht von einem UserPic im Livejournal kenne?«
»Nein, kann nicht sein. Ich hab kein Depplog.«
Uff. Den Ausdruck hatte ich noch nie gehört.
»Nanu? So streng?«
»Nicht streng«, widersprach sie. »Bloß nüchtern. Jehova hat uns doch erläutert, aus welchem Grund die Leute bloggen.«
»Kann mich nicht entsinnen. Aus welchem denn?«
»Der menschliche Verstand ist heute drei maßgeblichen Einflüssen ausgesetzt: Glamour, Diskurs und sogenannte News. Hat ein Mensch lange genug Werbung, Expertentipps und Ereignisse des Tages in sich hineingefressen, entsteht bei ihm der Wunsch, selbst zur Marke, zum Experten, zur
Nachricht zu werden. Dafür gibt es die Weblogs, die stillen Örtchen des Geistes. Bloggen ist ein Abwehrreflex der verstümmelten Psyche, die pausenlos Glamour und Diskurs hervorkotzt. Das ist nicht zum Lachen. Aber ein Vampir hat es nicht nötig, in dieser Kanalisation herumzukrauchen.«
Darauf lachte sie schon wieder. Ihre Art zu lachen war übrigens interessant: lauthals, aber knapp, so als bräche sich die Heiterkeit nur für einen kurzen Augenblick Bahn, bevor die Klappe wieder zuging. Es war, als nieste sie ihr Lachen hervor. Und wenn sie lächelte, bildeten sich auf ihren Wangen längliche Grübchen. Grübchen konnte man es schon fast nicht mehr nennen - Gruben.
»Naja«, sagte ich, »in mein eigenes Blog schreibe ich eigentlich kaum noch was rein. Aber weil ich nun mal weder Zeitung lese noch Fernsehen gucke, erfahre ich im Livejournal, was es Neues gibt. Da liest man aus erster Quelle, was die Profis denken - jeder Experte hält sich heutzutage ein
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