Das fuenfte Imperium
Graubart. »Das sage ich Ihnen in meiner jugendlichen Unschuld ganz unverblümt.«
»Sehr jung sind Sie ja nicht gerade«, wagte ich anzumerken.
»Stimmt. Hab ich auch nicht gesagt. Ich bin im Gegenteil hornbeinalt. Und spreche davon in aller jugendlichen Offenheit.«
»Hören Sie, vielleicht können Sie mir ja wenigstens einen Tipp geben, welchem von den Nachwuchspolitikern man trauen sollte? Ich bin ja nicht bloß Vampir, ich bin auch Bürger dieses Landes.«
Der Graubart und Samarzew blickten sich an.
»Oho«, sagte Samarzew, »du bist, scheints, kein schlechterer Provokateur als ich ... Sagt dir Catch-22 e twas?«
Das kannte ich noch aus dem Diskurs.
»Ich denke schon. Eine sich selbst ausschließende Situation, nicht wahr? Eine logische Schleife, aus der es kein Entrinnen gibt. Bei der die Katze sich in den Schwanz beißt. Stammt aus dem IKS-Haken von Joseph Heller.«
»Korrekt«, sagte Samarzew. »Unser Catch-22 besteht nun in Folgendem: Ganz gleich, welche Worte einer auf der politischen Bühne spricht - schon die Tatsache, dass er diese
Bühne betreten hat, zeigt, was für ein Schwein und Provokateur er ist. Denn wäre er es nicht, würde er gar nicht auf die Bühne gelassen - da ist ein dreifacher Sperrring davor, mit MG-Schutz. Elementar, Watson: Bläst ein Mädchen in einem Bordell einen Schwanz, kommt jeder deduktiv veranlagte Geist zu dem Schluss, dass wir es mit einer Prostituierten zu tun haben.«
Ich fand diese Pauschalisierung kränkend für meine Generation.
»Wieso eigentlich?«, wandte ich ein. »Vielleicht ist sie auch nur eine brave Näherin. Gestern erst aus ihrem Dorf gekommen. Verliebt in den Klempner, der in dem Bordell die Dusche repariert. Er hat sie mit auf Arbeit genommen, weil sie gerade nicht weiß, wo übernachten. Na, und da ergab es sich in einer freien Minute ...«
Samarzew hob den Zeigefinger.
»Auf ebendieser unausgesprochenen Mutmaßung fußt die ganze zerbrechliche Mechanik unserer jungen Volksmacht ...«
»Volksmacht? Haben wir die also immer noch?«
»Es läuft alles darauf hinaus.«
»Wieso?«
Samarzew hob die Schultern.
»Wir sind ja alles intelligente Menschen, und darum fassen wir uns bei den Händen und reißen uns darum, gleich welcher Diktatur in den Arsch zu kriechen. Falls wir nicht vorher verhungert sind, versteht sich.«
»Jeder Diktatur, nur nicht der anonymen«, fügte der Fachmann für Jugendkultur leise hinzu.
Samarzew puffte ihn mit dem Ellbogen in die Seite.
»Deine jugendliche Direktheit kann einem auf den Wecker gehen.«
»Und was die Nachwuchspolitiker angeht«, fuhr der
Jugendexperte ungerührt fort (der Ellbogenstoß schien ihn vollends aus dem Schlaf gerissen zu haben), »da sind patente Jungs drunter. Das lasst euch gesagt sein. Mehr als patent. Supertalente sind das. Neue Gogols, jawohl!«
»Ja nun. Es vergeht kein Tag bei dir, wo nicht neue Gogols geboren werden«, brummelte Samarzew.
»Nein, wirklich. Einer hat erst neulich fünfhundert tote Seelen als bezahlte Demonstranten gecastet, hab ich das schon erzählt? Und das dreimal hintereinander. Erst als Nazis, dann als Schwule, dann noch mal als orthodoxe Ökologen. Was sagt man dazu! Es gibt Leute, denen kann man das Land mit gutem Gewissen anvertrauen.«
Enlil Maratowitsch zerrte mich weiter.
»Sei du unser reiner Tor! Sieg heil!«, rief Samarzew mir hinterher. Vielleicht hatte er auch Thor gemeint.
Nun wurde ich dem als Vampir verkleideten Schauspielleiter vorgestellt, einem kleinen schmächtigen Mann in schwarzer Chlamys. Die Maske war zu groß für seinen Kopf, sie wirkte wie ein Kosmonautenhelm. Die Augen in den Schlitzen waren rund und traurig. Er kam mir vor wie ein ins Kloster eingetretener Gollum.
»Das ist Herr Modestowitsch«, sagte Enlil Maratowitsch. »Er hat sehr viel für unsere Kultur geleistet, hat sozusagen für ihren Anschluss an die große weite Welt gesorgt. Jetzt kommen auch bei uns regelmäßig farbenfrohe Blockbuster heraus, in denen das Gute gegen das Böse kämpft und am Ende von Teil zwei unweigerlich den Sieg davonträgt.«
Modestowitsch hatte eine geringere Meinung von sich.
»Schlechte Witze über Licht und Dunkel«, sagte er und scharrte zuvorkommend mit dem Fuß. »Davon lässt es sich leben.«
»Angenehm«, sagte ich. »Wissen Sie, ich wollte schon lange mal einen Profi fragen, warum bei uns immer nur
Filmkunstwerke in den Verleih gehen, in denen das Gute siegt. Was doch im realen Leben höchst selten vorkommt. Wie kommt
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