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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Augenhöhlen sagte mir, dass alles, was sich in diesem Saal abspielte, auf Angst und gegenseitigem Hass beruhte - Hass, der die Anwesenden genauso fest zusammenschweißte wie christliche Liebe oder der gemeinsame Besitz volatiler Aktien.
    Manchmal glaubte ich irgendwelche Prominenten vorbeilaufen zu sehen; ich meinte irgendeine Frisur zu erkennen, die Art, wie jemand krumm ging, eine Stimme. Aber sicher war ich mir nie. Nur einmal hätte ich die Hand ins Feuer legen können, dass Professor Zereteli vor mir stand. Der Beweis lag für mich in der Raffinesse, mit der er sich den Heldenstern an die Chlamys gezwickt hatte: etwas schief, etwas zu hoch und irgendwie idiotisch, so dass man aus der
    Entfernung einen rührend lebensuntüchtigen Geistesschaffenden vor sich zu haben glaubte. (Im Fernsehen hatte ich den Orden auf dieselbe Art am Revers seines Jacketts baumeln sehen.) Aber Enlil Maratowitsch geleitete mich stracks an ihm vorbei, und so blieb unklar, ob meine Mutmaßung richtig war.
    Endlich war ich allen wichtigen Menschen vorgestellt, und Enlil Maratowitsch ließ mich allein. Ich sah schon einen Schwall von Anteilnahme und Aufmerksamkeit über mich hereinbrechen, aber nein: Man sah mich kaum an. Ich nahm mir einen Becher rot gefärbte Flüssigkeit mit Plastikstrohhalm vom Büfett.
    »Was ist da drin?«, fragte ich einen zufällig in der Nähe stehenden Maskenträger.
    »Muckefuck!«, brummte er verächtlich.
    »He, was soll das heißen?«, brauste ich auf.
    »Der Cocktail heißt so. Wodka mit Preiselbeersaft. In manchen Gläsern ist auch bloß Saft. Bei den Cocktails ist der Strohhalm angespitzt wie eine Injektionsnadel.«
    Nach dieser Erläuterung ergriff er zwei Cocktails und trug sie zur anderen Seite des Saales hinüber.
    Ich leerte einen Cocktail. Gleich noch einen. Dann lief ich einmal den Saal auf und ab. Keiner beachtete mich. Sic transit glamuria mundi, ging es mir durch den Kopf, während ich den vornehm dahinplätschernden Gesprächen ringsum lauschte. Man sprach über alles mögliche - Politik, Film, Literatur.
    »Der schreibt schon cool«, sagte ein Chaldäer zum anderen. »Aber richtig geil ist das nicht. Geil ist was anderes. Ich finde ja, dass es richtig geile Schriftsteller in Russland momentan nicht gibt. Coole gibt’s im Endeffekt jede Menge, das werden immer mehr. Aber davon gabs ja immer genug, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
    »Natürlich«, erwiderte der andere, und man sah durch den Maskenschlitz seine Lider flattern. »Obwohl, ich meine, wenn es wirklich so ist, dass sie im Endeffekt cool sind, dann sind sie doch allein schon deswegen geil, oder?«
    Es gab auch Chaldäer aus dem Westen im Saal; vielleicht waren sie zum Erfahrungsaustausch angereist. Ich hörte Fetzen von englischer Rede:
    »Do Russians support gay marriage?«, wurde gefragt.
    »Well, this is not an easy question«, erwiderte eine Stimme mit starkem russischem Akzent diplomatisch. »We are strongly pro-sodomy, but very anti-ritual ...«
    Außerdem schienen ein paar Ölexperten im Saal zu sein, der Ausdruck »schwarze Flüssigkeit« war immer wieder zu hören. Ich kehrte zum Büfett zurück und trank meinen dritten Cocktail. Bald darauf besserte sich meine Stimmung.
    Auf der Bühne lief derweil ein buntes Nummernprogramm. Die Vampire produzierten sich vor den Chaldäern als Laienkünstler - wohl um den bilateralen Beziehungen eine herzliche Note zu geben. Was aber nicht sonderlich gut gelang. Auch war an den Reaktionen zu erkennen, dass alle das Programm schon viele Male gesehen hatten.
    Zuerst tanzte Loki einen Tango mit seiner Gummipuppe, die der Conferencier, ein hochgewachsener Chaldäer in roter Robe, aus irgendeinem Grund als Kult bezeichnete. Im Anschluss an die Nummer erklomm ein Grüppchen Chaldäer die Bühne und überreichte Loki ein Präsent für seine schweigsame Partnerin: eine in mehrere Lagen Goldpapier verpackte, mit roter Schleife dekorierte Schachtel. Das Auswickeln nahm einige Zeit in Anspruch.
    Darin war ein Riesendildo - das »Herkulesglied«, wie die Teilnehmer der Aktion es titulierten. Der rosarote Gummihammer war seitlich beschriftet, man konnte es von Weitem lesen: Per aspera ad astra. Das konnte eine Antwort auf den unsterblichen Zweizeiler am Schenkel des Lehrmittels sein. Den Kommentaren der Umstehenden entnahm ich, dass sich auch diese Nummer von Jahr zu Jahr wiederholte. (Im vergangenen Jahr, erzählte jemand, sei der Dildo schwarz gewesen -eine gewagte Eskapade in dieser schwierigen

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