Das fuenfte Imperium
Zeit...)
Dann betraten Mitra und Enlil Maratowitsch die Bühne. Sie spielten einen Sketch aus dem chinesischen Leben mit dem Kaiser Qianlong und einer verirrten Mücke als handelnden Personen. Enlil Maratowitsch war die Mücke, Mitra der Kaiser. In dem Sketch ging es darum, dass der Kaiser einen Mückenstich bemerkt, darüber in Wut gerät und der Mücke sämtliche Namen aufzählt, mit denen sie im Himmel und auf Erden geschmäht wird. Mit jedem Schimpfwort lässt die Mücke den Kopf noch mehr hängen - womit sie ihren Stechrüssel (die Teleskopantenne von einem alten Radioapparat, die sich Enlil Maratowitsch vor die Stirn hielt) immer tiefer in die kaiserliche Wade versenkt. Beim letzten Namen angekommen, will der Kaiser die Mücke plattschlagen, doch die hat ihr Werk bereit vollendet und ist glücklich davongeschwirrt. Diesem Gag wurde ehrlicher Beifall gezollt - woraus ich ersah, dass viele Geschäftsleute im Saal waren.
Dann in rascher Folge ein paar kurze Szenen und Dialoge, an denen sowohl Vampire als auch Chaldäer beteiligt waren. Zum Beispiel so etwas:
»Wir machen jetzt ein Menuett-à-trois, wie die Franzosen sagen«, verkündete ein Chaldäer.
»Kein Menuett, sondern eine Menage«, korrigierte ihn der Vampir.
»Ach?«, staunte der Chaldäer. »Nimmt man dazu Pfeffer und Salz?«
Im Saal wurde gehorsam gelacht. Einige Dialoge bezogen sich auf Filme, die ich gesehen hatte (»fortgeschrittener Postmodernismus«, wie ich jetzt wusste). Zum Beispiel dieser:
»Verlangt es Sie nach einer Geisha?«
»Geisha? Sind das die, die einen so angucken, dass man vom Fahrrad fällt?«
»Genau.«
»Vielen Dank. Wir wollen ficken und nicht von Fahrrädern fallen.«
Alsdann erklangen von der Bühne revolutionär-patriotische Gedichte im Geiste des frühen Jewtuschenko:
Nimm, Staatsanwalt, den Zoll nicht ins Visier! Du triffst doch wieder nur ganz Russland !...
Und so bunt ging es weiter.
Mir taten die Füße weh, ich ließ mich auf einem Schemel an der Wand nieder. Ich war todmüde, die Augen fielen mir zu. Das Letzte, was ich noch in allen Einzelheiten mitbekam, war ein Animiertanz alter Herren - vier Chaldäer, denen ich nicht vorgestellt worden war. Sie tanzten einen wüsten Krakowiak (jedenfalls fiel mir wie von ungefähr dieses Wort dazu ein). Wie sie tanzten, war schwer zu beschreiben. Der klassische Tanz der kleinen Schwäne im Zeitraffer - bei dem die Schwänlein aber schon ahnen, dass es bei Tschaikowski nicht bleibt und am Ende Krakauer Blutwurst herauskommt. Noch pikanter wurde die Nummer dadurch, dass die Animateure als Teletubbies verkleidet waren; von den Masken ragten goldene Antennen in verschieden knubbeliger Form.
Schließlich folgten ein paar Gesangsnummern, die man guten Gewissens auch über längere Zeit mit geschlossenen Augen verfolgen konnte. Jehova trat mit der Gitarre vor das Mikrofon und ließ die Finger ein paar Mal über die Seiten gehen, ehe er mit erstaunlich schöner Stimme Grebenschtschikow sang:
Kennst du das Land, wo ewig grünt das Konzentrat, Wo still in Lumpen hockt der letzte Renegat, Wo Rosentränen Spiegel netzen, und zum Schwof
Paarn sich die Säulen auf dem Hinterhof ? ...
Um welches Konzentrat es ging, war mir klar - ich kannte auch ein paar Stellen, wo es grünte ... Plötzlich schwebte eine Rose in einem endlosen Korridor aus zwei Spiegeln, und auf einmal kamen die grünen Säulen der Independence Hall auf der Rückseite des Hundertdollarscheins vom Portal gesprungen und tanzten einen wilden Tango, wie Loki und seine unterwürfige Gesellin ... Da schlief ich bereits.
LE YELTSINE IVRE
Die ganze darauffolgende Woche hing ich im Hamlet des armen Brahma ab.
Der Drang dorthin war unwiderstehlich, nachdem das Auto mich am Morgen nach der Revue zu Hause abgeladen hatte. Ich gab ihm nach - und fiel sogleich in die bereits bekannte kristallene Starre.
Es war kein Schlaf und kein Wachzustand. Die schwere dunkle Kugel, als die ich mein Zungenbewusstsein wahrnahm, lag stabil an dem Ort, wohin sie zu gehören schien, und erstickte alle Intentionen, die mich in der sonst üblichen Körperposition heimzusuchen pflegten, noch im Keim. Wie das zuging, konnte ich mir vage erklären: Ist doch das Handeln des Menschen stets darauf angelegt, ein inneres Ungleichgewicht, den Konflikt zwischen der realen Lage der Dinge und eigener Wunschvorstellung, auszubalancieren (so wie eine Rakete auf ihr Ziel ausgerichtet wird, indem man die differenten Lesarten unterschiedlicher Sektoren ihres
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