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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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entwickelt.«
    Ich hatte keinen Schimmer, wovon Kaldawaschkin redete.
    »Was soll das bedeuten?«
    Kaldawaschkins veilchenblaue Augen in den Maskenschlitzen blinkerten.
    »Du hast uns mit deiner Rede vorhin ein vortreffliches Exempel dafür geliefert«, erklärte er. »Eure Generation kommt ganz ohne die Kodizes der klassischen Kultur aus. Ilias und Odyssee sind passe. Das Zitat aus der Trivialkultur hat den Siegeszug angetreten. Zitiert wird, was bereits zuvor eine Entlehnung, ein Zitat war, der Bezug zur Primärquelle ist getilgt beziehungsweise vollständig anonymisiert. Das ist die adäquate kulturelle Projektion einer anonymen Diktatur - und zugleich der effektivste Beitrag der chaldäischen Kultur zur Generierung des Schwarzen Rauschens.«
    »Was ist das nun wieder?«, kam ich zu fragen kaum nach.
    »Auch nicht behandelt?«, staunte Kaldawaschkin. »Was habt ihr denn die ganze Zeit gemacht? Das Schwarze Rauschen ist die Summe aller Diskursvarietäten. Anders gesagt, ein weißes Rauschen, dessen Bestandteile sämtlich durchdacht und durchfinanziert sind. Eine zufällige, willkürliche Menge von Signalen, die jedes für sich genommen weder willkürlich noch zufällig sind. Es ist dies die mediale Umgebung des modernen Menschen.«
    »Und wozu gut? Die Menschen an der Nase herumzuführen?«
    »Nein«, antwortete Kaldawaschkin, »Sinn und Zweck des Schwarzen Rauschens ist nicht die direkte Manipulation, sondern die Schaffung eines Informationshintergrundes von solcher Dichte, dass die Wahrheit darin unmöglich zu entdecken ist, insofern ...«
    Das Ende des Satzes bekam ich nicht mehr mit, da Enlil Maratowitsch mich diskret zum nächsten Chaldäergrüppchen weiterschob; ich konnte Kaldawaschkin nur noch freundlich zulächeln und bedauernd die Arme heben. Ziel der Verschiebung schien ein kleiner Chaldäer in blauem Chiton, mit weiblichen Gesichtszügen und langen, manikürten Fingernägeln zu sein. Mehrere Goldmaskenträger umstanden ihn ehrerbietig und bildeten eine Art Suite.
    »Herr Schtschepkin-Kupernik«, stellte Enlil Maratowitsch ihn vor. »Seines Zeichens Glamourobmann. Zweifellos das wichtigste Amt in der Gesellschaft unserer lieben Chaldäer.«
    So viele wichtigste Ämter wie Chaldäer - das hatte ich schon begriffen.
    Schtschepkin-Kupernik neigte würdevoll die Maske.
    »Hören Sie, Rama«, sprach er mit klangvoller Stimme, »vielleicht gelingt es mir ja wenigstens bei Ihnen, Sie von der grässlichen schwarzen Krankheit zu heilen? Sie sind doch noch so jung, vielleicht bestehen da Aussichten?«
    Die Suite lachte. Auch Enlil Maratowitsch lachte mit.
    Panik befiel mich. Eben hatte ich mich beim Diskurs kräftig blamiert, den ich doch angeblich so gut beherrschte, während ich mit dem Glamour bekanntermaßen meine Schwierigkeiten hatte. Nun mache ich mich endgültig zum Affen! dachte ich - denn an eine schwarze Krankheit konnte ich mich auch nicht erinnern. Mir blieb nichts übrig als ein Blindversuch.
    »Die einen haben die schwarze Krankheit«, befand ich streng, »die anderen ereilt der schwarze Tod.«
    Das Lachen erstarb.
    »Wohl wahr«, sagte Schtschepkin-Kupernik, »daran gibt es nichts zu rütteln. Aber warum hüllen sich die Vampire, und seien sie noch so jung und knackig, nur immer in diese kohlschwarzen Roben? Warum sind sie so schwer zu bewegen, diese Orgie der Finsternis wenigstens durch ein kleines farbliches und stoffliches Gegenstück zu akzentuieren? Wissen Sie, wie viel Mühe es mich gekostet hat, bis Ihr Freund Mitra diese rote Fliege anlegte?«
    Nun war mir endlich klar, wovon er sprach.
    »Da haben Sie nun diesen wunderbaren, tiefgründigen Glamourunterricht«, fuhr Schtschepkin-Kupernik zu klagen fort, »und doch kann ich mich nicht entsinnen, es jemals anders erlebt zu haben. Zuerst kleidet man sich noch tipptopp, wie die Theorie es vorschreibt. Und dann fängt es an. Früher oder später, nach einem Monat oder höchstens einem Jahr, rutscht jeder Vampir in dieses hoffnungslos schwarze Loch ...«
    Nach diesen Worten wurde es in der Runde spürbar frostig.
    »Oh!«, hauchte Schtschepkin-Kupernik erschrocken, »verzeihen Sie mir, sollte ich etwas Falsches gesagt haben ...«
    Ich sah meine Chance, die Scharte auszuwetzen.
    »Nicht doch!«, sagte ich liebenswürdig, »Sie sind ein sehr geistreicher Gesprächspartner und gut informiert. Aber im Ernst ... Wir Säuger haben in der Tat einen gewissen Hang zum Noir. Erstens ist Schwarz unsere Nationalfarbe, wie Ihnen bekannt sein dürfte. Und

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