Das fuenfte Maedchen
sollte jemand seinen nützlichen Balkonstauplatz auch für Blumen verschwenden, wenn er doch auf die Blumen der darunter liegenden Gräber blicken konnte?
Jinn und ich nahmen immer Blumen aus dem Garten mit und ein Picknick: fertige Sandwiches aus dem Mini-Markt, Colaflaschen und eine Riesenpackung Malteser. Es war fast wie ein ganz normales Picknick mit Lara, abgesehen davon, dass sie unter dem grün bepflanzten Erdhügel lag und in aller Ruhe verweste.
Ich kaute an einem kalten BLT (der Schinken war zäh, die Majo definitiv zu wenig) und krauste die Stirn über den Grabstein: schwarzer Granit, auf Hochglanz poliert, mit Ausnahme der Stelle, wo Laras Name sowie ihre Lebensdaten eingraviert waren, illustriert mit einem einfarbigen Regenbogen. Ich fand diesen Grabstein völlig unpassend, doch ich durfte das Jinn nicht sagen, die ihn in ihrem tiefen Schmerz ausgewählt hatte. Er hatte ein Vermögen gekostet, denn so viel Hässlichkeit muss teuer bezahlt werden.
Apropos Hässlichkeit. »Er sieht wirklich herb aus«, sagte ich.
Jinn, die gerade erfolglos die Petunien zu arrangieren versuchte, blickte hoch. »Wer?«
Als ob sie es nicht genau wüsste. »Nathan.«
Sie betrachtete mich einen Augenblick lang, schien dann einen Entschluss zu fassen. »Ich weiÃ.«
»Bertha meint, er nimmt vielleicht Drogen«, platzte ich heraus.
Jinn schwieg ein paar Sekunden, doch ich sah, wie die Petunienblüten in ihren Händen zitterten und einer der Stängel abknickte.
»Das geht Bertha ja wohl nichts an, oder?«
»Aber mich.«
Gewaltsam stopfte sie die restlichen Petunien in die Vase. »Dieser Foley bringt dich noch um den Verstand, oder?«
Ich würdigte sie keiner Antwort.
»Er hat damit aufgehört.«
Ich fragte nicht, womit. »Aha, so ist das also. Dann könnte er ja etwas Miete zahlen?«
»Er hat jede Menge Probleme. Schuldet ein paar Leuten Geld.« Sie mied meinen Blick. »Ich würde dich nie im Stich lassen, aber ich werde auch ihn nicht im Stich lassen.«
»Er ist aber nicht wir.«
»Doch, Ruby, ist er, verdammt noch mal.« Sie war jetzt wütend; ich sah, wie Tränen in ihren Augen glitzerten. »Es ist mir egal, was du denkst.«
»Nein, ist es dir nicht.« Ich wurde jetzt ebenfalls wütend.
»Nein â äh, ist es auch nicht. Ruby, ich weiÃ, du magst ihn nicht, aber ich mag ihn. Spielt das für dich eine Rolle?«
Ich zuckte die Achseln. Dieses Mal wich ich ihrem Blick aus.
»Ruby, ich kann ihm helfen.«
»Ach â na, wenn das so ist.« Das konnte ich mir nicht verkneifen.
»Ich kann es versuchen .«
»Nicht indem du Sachen mitgehen lässt, um seine Schulden zu zahlen.«
»Mein Gott, Ruby. Ich LIEBE ihn, verstehst du das?«
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen.
»Ich liebe ihn, verdammt noch mal. Ich hab ihn immer geliebt. Er braucht mich.« Sie schmetterte den Krug mit den Petunien so heftig auf den Boden, dass ich mich wunderte, dass er nicht kaputtging. »Er braucht mich.«
»Ich brauche dich auch.«
»Nun, Ruby, mein Leben dreht sich nicht um dich. Nicht die ganze Zeit, nicht für immer!«
Das überraschte mich, denn ich hatte immer irgendwie angenommen, dass es so wäre. Jinn rieb sich heftig die Augen, und zum ersten Mal kam mir der Gedanke (du kannst es glauben oder nicht), dass sie vielleicht auch jemanden brauchte, der sich um sie kümmerte. Und wenn das so war, dann hatte sie, altmodisch wie sie war, den falschen Jungen gewählt, einen von der neumodischen Art.
»Wir sollten nicht so drauÃen sein«, sagte sie schlieÃlich. »Lass uns heimgehen.«
Sieben
Jinn war ein altmodisches Mädchen und sie mochte ihre Traditionen. Ihr gefielen Laras altmodische Urlaube, die wir immer irgendwo an der Westküste machten. Wenn man mich bitten würde, den Ort auf einer Karte zu zeigen, könnte ich das nicht, obwohl wir sicher schon mindestens sechs Jahre hintereinander dort waren. Er muss irgendwo zwischen der Halbinsel Kintyre und Assynt liegen, mehr weià ich nicht. (An dieser Küste gibt es auch einige groÃartige Wörter, aber ich habe keine Ahnung, was sie bedeuten). Die Küste ist länger, als sie aussieht, weil es dort so viele Buchten gibt und sie sich windet, schlängelt und wieder zurückschlängelt. Früher dachte ich immer, sie wäre Tausende von Meilen lang, wenn man
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