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Das fuenfte Maedchen

Das fuenfte Maedchen

Titel: Das fuenfte Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Philip
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doch ich vermute, dass es sich bei Jinns Aufzug um ein Halloween-Kostüm handelte. Das schwarze, üppig mit Tüll und Spitze versehene Kleid reichte ihr bis zu den Knöcheln. Darunter trug sie schwarze Springerstiefel. Das Kleid enthüllte ihre blassen Schultern, die vom Seewind gerötet waren. Sie trug außerdem schwarze Spitzenhandschuhe ohne Finger, was auch nicht viel half, doch am Kopf war ihr unter der wilden schwarzen Perücke sicher sehr warm. Ihre Lippen waren scharlachrot, ihre Augen mit Kajal schwarz umrandet und ihr Gesicht totenblass. Heute versprühte sie keine Funken, nicht einmal in der Sonne. Ich konnte keine einzelne Strähne silberblonden Haars entdecken. Offensichtlich hatte sie ihre Aufgabe sehr ernst genommen, eine wahre Stanislawski-Hexe. Als ich auf sie zutrat, entdeckte ich unechte schwarze Perlen auf ihrer Perücke.
    Â»Was, wenn das Sozialamt dich so sieht?«, fragte ich. »Das ist Betrug, was du machst.«
    Â»Verpiss dich, Ruby. Ich bin ein Gespenst und unnahbar.«
    Sie blinzelte mir aber zu, eindeutig, und ich musste unwillkürlich grinsen.
    Â»Ich bekomme sowieso nichts dafür«, fuhr sie fort. »Zumindest nicht viel. Ich bekomme eine Provision, wenn irgendjemand mit einem Discount-Flyer auftaucht, woran ich zweifle.« Da lagen tatsächlich Flyer im Rinnstein, wo die Leute sie hingeworfen hatten. »Du bist wohl nicht scharf darauf, eine Hexentour für 20 Prozent Rabatt zu machen?«
    Ich schüttelte den Kopf, war böse mit ihr, weil sie versuchte, das Thema zu wechseln. Ich versuchte es erneut. »Was ist, wenn dich jemand sieht?«
    Â»Mich wird schon keiner sehn. Und wenn, erkennt mich sowieso keiner.« Sie zupfte an ihrer Perücke eine Strähne zurecht, was meine Aufmerksamkeit auf ihren weißen Hals lenkte. Der Bernsteinanhänger fehlte, war durch ein billiges Kreuz an einem schwarzen Lederband ersetzt worden. Als Jinn meinen Blick bemerkte, fuhr sie sich mit den Fingern an den Hals und umklammerte das Kreuz.
    Ich beschloss, den Bernsteinanhänger nicht zu erwähnen. Was ging er mich denn an? Er war ja ein Geschenk von ihm . Und er hatte ihn ja geklaut.
    Â»Kommst du irgendwann wieder nach Hause?«, fragte ich.
    Â»Vielleicht am Wochenende.«
    Â»Tut mir leid«, platzte ich heraus.
    Jinn drückte zwei Touristen einen Flyer in die Hand. »Is okay.«
    Â»Ich meine, er könnte mitkommen …«
    Â»Nein«, erwiderte Jinn. »Nein. Das will ich nicht. Ich will sein Zeug nicht mehr im Haus haben.«
    Mir fiel auf, dass sie nicht »unser Haus« sagte.
    Â»Aber er ist immer noch …«
    Â»Ja«, sagte sie. »Aber das kriegst du ja nicht mit.«
    Â»Jinn«, bemerkte ich. »Jinn, alles in Ordnung mit dir?«
    Â»Ruby, Ruby, mir geht’s gut«, spottete sie. »Verpiss dich. Sag, was du sagen willst, und dann verpiss dich.« Sie griff sich unter die Achsel. »Dieses Korsett bringt mich noch um.«
    Â»Nicht das Korsett«, murmelte ich.
    Woraufhin sie kein Wort mehr mit mir redete.

Sommer

Zahlenspiele
    Als es das dritte Mal passierte, sah ich es in den Zeitungsständern im großen Supermarkt. Ich griff mir den Mirror und die Sun , las den Bericht in beiden, stopfte die Zeitungen dann wieder in den Ständer und holte mir den Record und den Glassford-Breakness Courier heraus. Ich erinnere mich deshalb so genau an das Mädchen, weil die Tussi vom Sicherheitsdienst mich abkanzelte, weil ich die Zeitungen gelesen hatte, ohne sie zu kaufen, und mich dann rauswarf.
    Die Polizei hatte jetzt erkannt, dass zwischen den Morden ein Zusammenhang bestand, aber das nutzte wenig. Es gab keine Aufnahmen von Überwachungskameras; der Mörder war vorsichtig gewesen oder hatte einfach Glück gehabt. Es gab auch keine DNA -Spuren, die einen Zusammenhang zwischen den Mädchen hergestellt hätten. Er hinterließ keine Spuren. Er hinterließ auch von ihnen lediglich einen fahlen Schatten im Wasser, der eine Puppe oder ein Spiegelbild hätte sein können.
    Genau das dachte der Wildhüter bei der Forellenfarm. Er stand auf der kleinen Brücke über dem Wehr und blickte in den Aufzuchtteich hinunter. Er hielt das Mädchen im Wasser, das ungefähr einen Meter unter der Wasseroberfläche hell leuchtete, für eine Spiegelung des Himmels. Das dachte er, bis sie sich bewegte, bis die Strömung ihren Lauf änderte und sie auf den Rücken drehte,

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