Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
Ruth. » Das … das … geht nicht. «
    » Bei meinem letzten Besuch haben Sie erzählt, Sie hätten schon mal mit dem Gedanken gespielt, über das Dach zu Barli rüberzuklettern. Ein bisschen zu spionieren «, sagte Harry. » Und dass seine Terrassentür den ganzen Sommer über offen gesta n den habe. Sind Sie sich da sicher? «
    » Ja, klar, aber können Sie nicht einfach anrufen? «, fragte das Trikot.
    Harry schüttelte den Kopf. » Er könnte Verdacht schöpfen, und wir liefen Gefahr, dass er abhaut. Ich muss ihn noch heute Abend stellen, sonst ist es zu spät. «
    » Zu spät wofür? «, fragte das Trikot und kniff ein Auge zu.
    » Hören Sie mal, ich will doch nur mal auf Ihren Balkon, um von dort aufs Dach zu kommen. «
    » Sind Sie wirklich allein? «, fragte das Trikot. » Und Sie haben noch nicht einmal einen Durchsuchungsbefehl oder so etwas? «
    Harry schüttelte den Kopf. » Gefahr im Verzug «, sagte er. » Da brauch ich das nicht. «
     
    L eiser Donner grollte warnend über Harrys Kopf. Von der Dachrinne über dem Balkon, einst gelb gestrichen, war die Far be abgeplatzt und hatte große, rote Rostrosen entblößt. Harry packte mit beiden Händen zu und rüttelte vorsichtig, um zu prüfen, ob sie fest saß. Eine Schraube löste sich aus dem Putz und fiel in den Innenhof. Mit einem klagenden Laut gab die Rinne nach. Harry ließ los und fluchte. Er hatte keine Wahl. Er kletterte auf das Balkongeländer, zog sich hoch und warf einen Blick hinunter. Automatisch schnappte er nach Luft. Das Laken an der Wäschespinne flatterte im Wind. Es sah aus wie eine kleine weiße Briefmarke.
    Harry stieß sich ab, landete auf den Füßen, und obwohl das Dach steil war, reichte die Reibung zwischen den Dachpfannen und den soliden Sohlen seiner Dr. Martens aus, um ihn in zwei Schritten hinauf zum Schornstein zu bringen, den er wie einen lange vermissten Freund umarmte. Er richtete sich auf, schaute sich um. Irgendwo über Nesodden zuckte ein Blitz. Und die Luft, in der sich bei seiner Ankunft noch kein Lüftchen geregt hatte, zupfte vorsichtig an seiner Jacke. Harry zuckte zusammen, als plötzlich ein schwarzer Schatten an seinem Gesicht vorbe i schoss. Der Schatten huschte über den Innenhof. Eine Schwalbe. Harry sah noch, wie sie unter dem Dachvorsprung Schutz suchte. Er kroc h h och zum First, fixierte einen schwarzen Wetterhahn etwa fünfzehn Meter vor sich, holte tief Luft und begann, über die Firststeine zu balancieren, die Arme wie ein Seiltänzer ausgebreitet.
    Er hatte kaum die Hälfte der Strecke zurückgelegt, da geschah es.
    Harry glaubte zunächst, das Rauschen käme aus den Bau m kronen unter ihm. Das Geräusch wurde lauter, und die Wäsche spinne unten im Hof fing kreischend zu kreisen an. Doch er spürte keinen Windhauch. Bis der Wind ihn mit voller Wucht traf. Die Trockenzeit war vorüber. Eine Lawine aus Luft prallte gegen seine Brust und kündigte prasselnde Wassermassen an. Er taumelte einen Schritt zurück und blieb schwankend stehen. Hörte, dass ihm jemand auf klappernden Dachpfannen entg e genkam. Der Regen. Die Sintflut. Es hämmerte auf ihn ein, und in der nächsten Sekunde war alles nass. Harry versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden, doch jegliche Reibung war dahin. Er lief wie auf Seife. Seine Sohlen verloren den Halt, und Harry warf sich verzweifelt nach vorn in Richtung Wetterhahn, die Arme vorgestreckt, die Finger gespreizt. Die rechte Hand krallte sich in die nassen Pfannen, suchte einen Halt. Vergebens. Die Schwerkraft zog an ihm, und seine kratzenden Nägel machten ein Geräusch wie das einer Sense auf einem Schlei f stein, während er nach unten rutschte. Er hörte den Schrei der Wäschespinne verstummen, fühlte die Dachrinnen unter seinen Knien, wusste, dass er gleich über den Rand stürzen würde, und reckte sich voller Verzweiflung. Versuchte, länger zu werden, lang wie eine Antenne. Eine Antenne. Seine linke Hand traf auf Widerstand, packte zu. Das Metall gab nach, bog sich, bückte sich gleichsam, drohte, ihm in die Tiefe des Innenhofes zu folgen, hielt aber stand.
    Beide Hände fanden Halt, griffen zu, und Harry zog sich wieder hoch. Die Gummisohlen unter ihm hatten Grund. Er presste möglichst viel auf die Fläche unter sich. Konnt e s ich halten. Den wütenden Regen im Gesicht, gelang ihm der Aufstieg zum Dachfirst, wo er sich rittlings hinsetzte und tief durchatmete. Der verdrehte Metallmast unter ihm deutete schräg in die Tiefe. Da würde jemand Schwierigkeiten

Weitere Kostenlose Bücher