Das fünfte Zeichen
Metall blitzte, und Harry erstarrte.
Willy nahm den Gegenstand hoch. Eine Armbanduhr. » Es ist schon spät, Harry. Ich glaube, die Besuchszeit ist jetzt zu Ende. Es ist doch wohl angebracht, dass du weg bist, bevor sie aus der Dusche kommt? «
Harry blieb sitzen. » Den Täter zu finden war nur das halbe Versprechen, das du mir abverlangt hast, Willy. Du hast auch verlangt, ihn zu bestrafen. Hart. Und ich glaube, du meintest das auch so. Denn ein Teil von dir sehnt sich nach Strafe, oder? «
» Freud ist out, Harry. Und das solltest du besser auch sein. Und zwar buchstäblich. «
» Wolltest du nicht den Beweis hören? «
Willy seufzte ärgerlich. » Wenn du dann gehst. «
» Eigentlich hätte ich es gleich verstehen müssen, als wir Lisbeths Finger mit dem Diamantring in der Post hatten. Der dritte Finger der linken Hand. Vena amoris. Dass sie diejenige war, von der der Täter geliebt werden wollte. Und paradoxe r weise hat dich dieser Finger trotzdem entlarvt. «
» Entlarvt … «
» Genauer gesagt, deine Exkremente unter dem Fingernagel. «
» Mit meinem Blut. Ja, ja, aber das ist doch nichts Neues, Harry. Und ich habe ja erklärt, dass wir uns gerne … «
» Ja, und nachdem wir das bestätigt bekommen hatten, sind deine Exkremente auch nicht weiter untersucht worden. In der Regel ist da auch nicht viel zu finden. Die Nahrung, die wir essen, braucht zwischen zwölf und vierundzwanzig Stunden vom Mund bis in den Enddarm. Und i n d er Zeit haben Magen und Darm alles in undefinierbaren biologischen Abfall verwa n delt. So wenig bestimmbar, dass man selbst unter dem Mikr o skop nicht erkennen kann, was eine Person gegessen hat. Trotzdem gibt es hin und wieder etwas, das unbeschadet durch das Verdauungssystem rutscht. Traubenkerne und … «
» Könnten wir auf die Vorlesung verzichten, Harry? «
» … Samenkerne. Wir haben zwei Samen gefunden. Das ist nichts Besonderes. Deshalb habe ich erst heute –als ich begriff, wer der Mörder sein könnte –das Labor gebeten, sich die Samen genauer anzuschauen. Und weißt du, was sie herausg e funden haben? «
» Woher sollte ich. «
» Es waren ganze Fenchelsamen. «
» Ja und? «
» Ich habe mit dem Küchenchef des Theatercafés gesprochen. Du hattest Recht mit der Behauptung, das sei der einzige Ort in Norwegen, wo sie Brot mit ganzen Fenchelsamen backen. Weil das so gut zu … «
» Hering passt «, ergänzte Willy. » Du weißt ja, dass ich das gerne esse. Auf was willst du hinaus? «
» Du hast neulich erzählt, dass du an dem Mittwoch, an dem Lisbeth verschwunden ist, wie gewöhnlich deinen Hering im Theatercafé gegessen hast. Irgendwann zwischen neun und zehn am Morgen. Was ich mich jetzt frage: Wie haben es die Samen geschafft, von deinem Magen unter Lisbeths Nagel zu ko m men. «
Harry wartete, um sicherzugehen, dass Barli ihm folgen kon n te. » Du hast gesagt, Lisbeth habe gegen fünf die Wohnung verlassen. Also rund acht Stunden, nachdem du deinen Hering verzehrt hast. Angenommen, ihr hättet unmittelbar vor ihrem Gehen miteinander geschlafen und sie hätte dich dabei mit ihrem Finger penetriert. Egal, wie effektiv dein Darm auch sein mag, er kann es unmöglich schaffen, die Fenchelsamen in nur acht Stunden bis in deinen Enddarm zu transportieren. Das ist medizinisch einfach unmöglich. «
Harry konnte ein leichtes Zucken in Willys überraschtem Gesicht ausmachen, als er das Wort » unmöglich « aussprach. » Die Fenchelsamen können frühestens gegen neun Uhr abends dort angekommen sein. Also musst du irgendwann an diesem Abend oder am nächsten Tag Lisbeths Finger in dir gehabt haben. Auf jeden Fall aber, nachdem du sie vermisst gemeldet hast. Verstehst du, was ich sage, Willy? «
Barli starrte Harry an. Das heißt, er starrte in seine Richtung, doch sein Blick war auf etwas in weiter Ferne gerichtet.
» Wir nennen so etwas ein Indiz, einen technischen Beweis «, sagte Harry.
» Ich verstehe. « Willy nickte langsam. » Technischer Beweis. «
»Ja.«
» Eine konkrete und unwiderlegbare Tatsache? «
» Stimmt. «
» Richter und Geschworene lieben so etwas, nicht wahr? Das ist besser als ein Geständnis, oder? «
Der Polizist nickte.
» Ein Possenspiel, Harry. Ich habe mir das wie eine Posse vorgestellt. Mit Menschen, die ständig durch irgendwelche Türen kommen und gehen. Ich habe dafür gesorgt, dass wir uns auf der Terrasse aufhielten, damit die Nachbarn uns sahen. Dann habe ich Lisbeth gebeten, mit mir ins Schlafzimmer zu
Weitere Kostenlose Bücher