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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wieder zurückzuziehen. Er mochte keinen physischen Kontakt zu Män nern, und dieser Händedruck gehörte eher in die Kategorie Umarmung.
    Doch Willy Barli hielt ihn fest, als wäre Harry ein Rettung s ring. » Lisbeth ist verschwunden «, flüsterte er mit überraschend heller Stimme.
    » Wir haben die Nachricht erhalten, Herr Barli. Wollen wir hineingehen? «
    » Kommen Sie. «
    Wieder eine Dachwohnung. War Camilla Loens klein und spartanisch eingerichtet gewesen, wirkte diese riesig und überladen. Die üppigen Verzierungen erinnerten an ein neokla s sizistisches Pasticcio und die Atmosphäre an die Kulisse für eine römische Orgie. Statt gewöhnlicher Sitzmöbel fanden sich römische Liegen wie aus der Filmkulisse, und die Holzbalken waren mit Gips in dorische Säulen verwandelt worden. Oder waren es korinthische? Harry hatte sich den Unterschied nie merken können. Doch das Gipsrelief auf der Wand im Flur hatte er wiedererkannt. Seine Mutte r h atte ihn und Søs, als sie noch klein waren, einmal mit in ein Museum in Kopenhagen geno m men, und dort hatten sie Bertel Thorvaldsens » Jason mit dem goldenen Vlies « gesehen. Die Wohnung war offensichtlich gerade erst renoviert worden, Harry bemerkte überall frisch gestrichene Fußleisten, Reste von Abklebeband, und ein angenehmer Geruch nach Lösungsmitteln hing noch in der Wohnung.
    Im Wohnzimmer war ein niedriger Tisch für zwei Personen gedeckt. Harry folgte Barli eine Treppe hinauf, die zu einer großen, gefliesten Dachterrasse führte. Sie ging auf einen Innenhof hinaus, der von vier Häusern umschlossen war. Hier entsprach das Ambiente wieder der norwegischen Gegenwart. Drei verkohlte Koteletts lagen auf einem qualmenden Grill.
    » Es wird in diesen Dachwohnungen nachmittags unerträglich heiß «, sagte Barli entschuldigend und deutete auf einen weißen Plastikstuhl im Rokokodesign.
    » Das habe ich auch schon bemerkt «, sagte Harry, trat an das Terrassengeländer und blickte hinunter.
    Normalerweise hatte er keine Höhenangst, doch nach einer lang anhaltenden Trinkphase konnte ihn schon eine geringe Höhe schwindelig machen. Er erhaschte einen Blick auf zwei ältere Fahrräder und ein weißes Laken, das sich fünfzehn Meter unter ihm an einer Leine im Wind bewegte, ehe er die Augen rasch wieder abwenden musste. Er fragte sich, wie es sein konnte, dass da unten ein Wind ging, nicht aber hier oben.
    Von einem Balkon mit schwarzem, schmiedeeisernem Gelä n der auf der anderen Seite des Innenhofes grüßten zwei Nachbarn mit erhobener Bierflasche herüber. Auf dem Tisch vor ihnen standen weitere Flaschen. Harry nickte zurück.
    » Ein Glas Rotwein? «
    Barli hatte bereits begonnen, sich selbst aus der halb vollen Flasche einzuschenken. Harry bemerkte, dass Barlis Hand zitterte. › Domaine La Bastide Sy ‹ las er auf der Flasche.
    Der Name war noch länger, aber nervöse Nägel hatten den Rest des Etiketts abgeknibbelt.
    Harry setzte sich. » Danke, aber im Dienst trinke ich nicht. «
    Barli schnitt eine Grimasse und stellte die Flasche hart auf den Tisch. » Natürlich nicht. Entschuldigen Sie, aber ich stehe einfach so neben mir. Mein Gott, ich sollte in einer solchen Situation ja auch nichts trinken. « Er setzte das Glas an die Lippen und trank. Ein paar Tropfen rannen auf seine Kutte, die sich vor dem Bauch noch ein wenig röter färbte.
    Harry sah auffordernd auf die Uhr, damit Barli verstand, dass er sich etwas kürzer fassen sollte.
    » Sie wollte unten im Laden bloß Kartoffelsalat für die Kot e letts holen «, hickste Barli. » Vor zwei Stunden hat sie noch da gesessen, wo Sie jetzt sitzen. «
    Harry rückte seine Sonnenbrille zurecht. » Sie vermissen Ihre Frau erst seit zwei Stunden? «
    » Ja, ja, ich weiß, dass das nicht lange ist, aber sie wollte wirklich nur unten in den Laden und dann gleich wieder zurückkommen. «
    Auf dem anderen Balkon blinkten die Bierflaschen auf. Harry fuhr sich mit der Hand über die Stirn, blickte auf seine nassen Finger und fragte sich, wohin er mit dem Schweiß sollte. Er legte die Fingerkuppen auf die glühend heiße Plastikarmlehne und spürte, wie die Feuchtigkeit langsam verdampfte.
    » Haben Sie Freunde oder Bekannte angerufen? Waren Sie im Laden und haben nachgesehen? Vielleicht hat sie jemanden getroffen und ist mit ihm ein Bier trinken gegangen. Vielleicht … «
    » Nein, nein, nein! « Barli hob abwehrend die Hände. » Das hat sie nicht. So eine ist sie nicht! «
    » Was für eine? «
    » Sie ist eine

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