Das fünfte Zeichen
spürte es in seinem Darm rumoren. Er hoffte, dass es Hunger war. » Du hast also keine guten Nachrichten? «
» Die Polizeidienststelle Majorstua stellt uns drei Mann ab, wir haben jetzt also eine zehnköpfige Sonderkommission. Und Beate bekommt Unterstützung von der Kriminaltechnik bei der Analyse der Funde aus der Wohnung. Kein e s chlechte Man n schaft in Anbetracht der Ferien. Wie hört sich das an? «
» Danke, Waaler. Wollen wir hoffen, dass es so weitergeht. Mit der Mannschaft, meine ich. «
Møller legte auf und drehte den Kopf, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, ehe er sich wieder der Zeitung zuwandte. Doch stattdessen blieb er in dieser verkrampften Haltung sitzen, den Blick auf die Rasenfläche vor dem Polizeipräsidium gerichtet. Denn er hatte eine Gestalt auf dem Grønlandsleiret entdeckt. Der Betreffende bewegte sich nicht schnell, doch er schien einigermaßen geradeaus zu gehen, und die Richtung war eindeutig: Er kam auf das Präsidium zu.
Møller stand auf, trat auf den Flur und rief Jenny zu, sie solle ihm eine weitere Tasse und noch mehr Kaffee bringen. Dann setzte er sich wieder in sein Büro und zog hastig ein paar alte Dokumente aus einer Schublade.
Drei Minuten später klopfte es an der Tür.
» Herein «, rief Møller, ohne von seinen Papieren aufzuschauen –der zwölfseitigen Anzeige eines Hundebesitzers gegen die Tierklinik in der Skippergata. Eine Fehldiagnose sollte den Tod zweier Chow-Chows verschuldet haben. Die Tür ging auf, und Møller deutete mit der Hand auf den Stuhl, den Blick weiterhin auf seine Akten geheftet. Er überflog, wie die Hunde aufg e wachsen waren, welche Preise sie erhalten hatten und mit welch außerordentlicher Intelligenz sie gesegnet waren.
» Na, so was «, sagte Møller, als er endlich aufblickte. » Ich dachte, wir hätten dich rausgeschmissen. «
» Hmm. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kündigung noch ohne Unterschrift auf dem Schreibtisch des Kriminaldirektors liegt und sich daran in den nächsten drei Wochen kaum etwas ändern wird, muss ich doch wohl noch zur Arbeit kommen, oder, Chef? «
Harry schenkte sich aus der Kanne Kaffee ein, ging mit der Tasse um Møllers Schreibtisch herum und stellte sic h v ors Fenster: » Was nicht heißt, dass ich an der Camilla-Loen -S ache mitarbeite. «
Bjarne Møller drehte sich um und musterte Harry. Er hatte schon oft erlebt, dass Harry an einem Tag dem Tode nahe schien und am nächsten munter wie ein rotäugiger Lazarus heru m schwirrte. Doch er war immer wieder erstaunt. » Wenn du glaubst, die Kündigung sei ein Bluff, dann irrst du dich, Harry. Das ist kein Warnschuss, es ist endgültig. Immer wenn du dich über die Vorschriften hinweggesetzt hast, habe ich dafür gesorgt, dass Gnade vor Recht erging. Ich werde mich dieses Mal nicht aus der Verantwortung stehlen. «
Bjarne Møller suchte in Harrys Augen nach dem Anflug einer Bitte. Er fand nichts. Zum Glück.
» Es ist so, Harry. Es ist Schluss. «
Harry antwortete nicht.
» Und damit ich es nicht vergesse, du musst deine Waffe abgeben, sofort. Das gehört dazu. Du musst noch heute unten in der Waffenkammer alles abgeben. «
Harry nickte.
Der Dezernatsleiter beobachtete ihn. Sah er jetzt nicht doch ein bisschen wie ein kleiner Junge aus, der eine unerwartete Ohrfei ge bekommen hat? Møller legte eine Hand auf den untersten Knopf seines Hemdes. Es war nicht leicht, aus Harry schlau zu werden. » Wenn du meinst, dass du dich in den letzten Wochen nützlich machen kannst, dann darfst du gerne zur Arbeit kommen. Wir kennen ja beide die Alternative. «
» Gut «, sagte Harry tonlos und erhob sich. » Dann gehe ich und sehe mal nach, ob mein Büro noch da ist. Sag einfach Bescheid, wenn es etwas gibt, bei dem ich helfen kann, Chef. «
Bjarne Møller lächelte nachgiebig. » Ja, danke, Harry. «
» Zum Beispiel bei dem Chow-Chow-Fall «, sagte Harry noch und schloss die Tür leise hinter sich.
Harry blieb auf der Türschwelle stehen und ließ seinen Blick über das Zwei-Mann-Büro schweifen. Der Schreibtisch von Kriminalassistent Halvorsen stand urlaubsverwaist neben dem seinen. An der Wand über dem Archivschrank hing ein Bild von Ellen Gjelten. Das Foto war an Halvorsens Platz aufgenommen worden. Die andere Wand war fast vollständig von einer Straßenkarte Oslos bedeckt. Die Karte war mit Stecknadeln dekoriert, mit Strichen und Zeitangaben, die erklärten, wo sich Ellen, Sverre Olsen und Roy Kvinsvik in der Mordnacht aufgehalten hatten.
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