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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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zu Roy hinüber. Fragte sich, wo man eine große Nazitätowierung hinmachen würde.
    Eine ihrer Freundinnen stieß sie leicht in die Seite und deutete auf einen Mann, der den Akersbakken hinaufkam.
    » Schau mal, der ist aber betrunken «, flüsterte sie.
    » Armer Kerl «, meinte eine der anderen.
    » Es sind diese verlorenen Seelen, die Jesus haben will. «
    Natürlich hatte Sofie das gesagt. Sie sagte ständig so etwas.
    Die anderen nickten, auch Marit.
    Da traf es sie wie ein Schlag: Da war sie. Ihre Chance. Und ohne zu zögern, verließ sie den Kreis ihrer Freundinnen und stellte sich dem Mann in den Weg.
    Er blieb stehen und blickte auf sie herab. Er war größer, als sie angenommen hatte.
    » Kennst du Jesus? «, fragte Marit lächelnd mit hoher, klarer Stimme.
    Das Gesicht des Mannes war hochrot. Er starrte sie mit stierem Blick an.
    Das Gespräch hinter ihr war mit einem Mal verstummt, und aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, dass sich Roy und die Mädchen auf der Treppe zu ihr umgewandt hatten.
    » Leider nein «, schnaubte der Mann. » Und du wohl auc h n icht, mein Mädchen. Aber kennst du vielleicht einen Roy Kvinsvik? «
    Marit spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg und ihr der Rest des Satzes –weißt du, dass er nur darauf wartet, dich zu treffen –in der Kehle stecken blieb.
    » Nun «, fragte der Mann. » Ist er hier? «
    Sie betrachtete die kurzen Haare des Mannes und seine Boots. Plötzlich hatte sie Angst. War das ein Neonazi? Einer von Roys alten Freunden? Einer, der seinen Verrat rächen wollte? Oder ihn überreden wollte zurückzukommen?
    » Ich … «
    Doch der Mann war bereits weitergetaumelt. Er hatte ganz schön Schlagseite.
    Sie drehte sich gerade noch rechtzeitig um und sah, wie Roy in aller Eile im Gemeindehaus verschwand und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
    Der Betrunkene stapfte mit großen Schritten durch den kni r schenden Kies. Vor der Treppe sackte er in die Knie.
    » Mein Gott … «, flüsterte eines der Mädchen.
    Der Mann rappelte sich wieder auf und blieb schwankend auf der obersten Stufe stehen. Kristian zog sich vorsichtig zurück. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde der Mann hintenüberkippen, doch dann fand er das Gleichgewicht wieder und legte die Hand auf den Türgriff.
    Marit presste die Hand auf den Mund.
    Der Mann rüttelte an der Tür. Ein Glück, Roy hatte abg e schlossen.
    » Verflucht! «, rief der Mann mit rauer Stimme. Er holte mit dem Kopf aus und ließ ihn mit Schwung nach vorne fallen. Glas klirrte, als er mit der Stirn das runde Fenster in der Tür ze r schmetterte. Splitter fielen auf die Treppe.
    » Halt! «, rief Kristian. » Sie können nicht einfach … «
    Der Mann drehte sich um und starrte ihn an. Eine dreieckige Glasscherbe ragte ihm aus der Stirn. Blut rann in einem kleinen Rinnsal über den Nasenrücken.
    Kristian sagte nichts mehr.
    Da brach der Mann in ein grausiges Geheul aus. Das Geräusch war schneidend wie ein Sägeblatt. Er wandte sich wieder der Tür zu und begann mit einer Wildheit, die Marit noch nie zuvor gesehen hatte, mit den Fäusten auf die weiße, solide Tür einzuschlagen. Er heulte dabei wie ein Wolf. Die Hiebe, Fleisch auf Holz, klangen wie von einer Axt in einem morgenstillen Wald. Dann hämmerte er auf den schmiedeeisernen Bethlehe m stern in dem runden Fenster ein. Sie glaubte förmlich, seine Haut reißen zu hören, als Bluttropfen die weiße Tür rot zu färben begannen.
    » Tut doch was «, schrie jemand. Kristian griff zum Handy.
    Der Eisenstern löste sich, und plötzlich sank der Mann in die Knie.
    Marit trat einen Schritt näher. Die anderen zogen sich zurück, doch sie konnte nicht anders. Ihr Herz pochte. Vor der Treppe spürte sie Kristians Hand auf ihrer Schulter und blieb stehen. Der Mann röchelte. Er klang wie ein Fisch auf dem Trockenen. Es hörte sich an wie Schluchzen.
     
    A ls der Polizeiwagen eine Viertelstunde später eintraf, lag der Mann zusammengekauert auf dem Treppenabsatz. Die Polizi s ten brachten ihn auf die Beine, und er ließ sich ohne Widerstand abführen. Eine der Polizistinnen fragte, ob ihn jemand anzeigen wolle. Doch alle schüttelten den Kopf, sie waren zu schockiert, um an das zerbrochene Fenster zu denken.
    Dann war das Auto verschwunden, und zurück blieb eine warme Sommernacht. Marit stand gedankenverloren da. Sie bemerkte kaum, dass Roy blass und niedergeschlagen aus dem Gemeindehaus kam und verschwand. Oder dass Kristian seinen Arm um sie legte. Sie

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