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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Augen öffnete, mir den Kopf tätscheln, bevor er wieder ging. Deshalb tat ich so, als schliefe ich, damit er noch ein bisschen blieb. Nur manchmal, wenn ich einen Albtraum gehabt und von der Frau mit dem Schweinekopf geträumt hatte, die auf der Jagd nach Kinderblut durch die Straßen lief, verriet ich mich. Dann bat ich ihn, noch ein bisschen zu bleiben, wenn er aufstand. Und e r b lieb sitzen, während ich ihn mit offenen Augen betrachtete, lange. War es mit deinem Vater auch so, Harry? «
    Harry zuckte mit den Schultern. » Mein Vater war Lehrer. Er war immer zu Hause. «
    » Eine Mittelstandsfamilie also? «
    » In etwa. «
    Waaler nickte. » Mein Vater war Handwerker. Genau wie die Väter meiner beiden besten Freunde, Geir und Solo. Sie woh n ten genau über uns in dem Block in der Altstadt, in dem ich aufgewachsen bin. Im Osten der Stadt, ziemlich grau, aber in Ordnung, ein gepflegtes Haus im Besitz der Handwerkerinnung. Wir haben uns nicht zur Arbeiterklasse gezählt, irgendwie waren wir alle Bauunternehmer. Solos Vater besaß sogar einen Kiosk, in dem die ganze Familie arbeitete, daher sein Spitzname Solo –wie die Limonade. Alle Handwerker der Nachbarschaft arbeit e ten hart. Doch keiner so hart wie mein Vater. Von früh bis spät. Tag und Nacht. Er war wie eine Maschine, die bloß sonntags ausgeschaltet wurde. Meine Eltern waren nicht besonders gläubig, obwohl mein Vater ein halbes Jahr lang auf der Abendschule Theologie studiert hatte. Großvater wollte, dass er Pastor wird. Doch als er starb, hat mein Vater damit aufgehört. Trotzdem sind wir jeden Sonntag in Vålerenga in die Kirche und anschließend am Ekeberg oder in der Østmarka spazieren gegangen. Und gegen fünf Uhr nachmittags haben wir uns dann umgezogen, um im Wohnzimmer feierlich das Sonntagsessen einzunehmen. Das hört sich vielleicht langweilig an, aber weißt du was? Ich habe mich die ganze Woche auf diese Sonntage gefreut. Und dann kam der Montag, und mein Vater war wieder verschwunden. Immer irgendwo auf dem Bau, Überstunden machen. Manchmal weiß, manchmal grau, manchmal kohlr a benschwarz. Nur so könne man in seiner Branche ein bisschen Geld auf die Seite schaffen, meinte er. Als ich dreizehn Jahre alt war, zogen wir weiter nach Westen in ein Haus mit einem Garten. Und Apfelbäumen. Vater sagte, wir hätten es besser dort. Ich war der Ein zige in der Klasse, dessen Eltern nicht Juristen, Geschäftsleute oder Ärzte waren. Der Nachbar war Richter. Er hatte einen Sohn in meinem Alter. Joakim. Vater hoffte, ich würde wie er. Er meinte, wenn ich es einmal in diese Kreise schaffen wollte, müsste ich Freunde in diesem Milieu haben, ihre Umgangsformen lernen, ihre Sprache, all die ungeschriebenen Regeln. Doch ich habe den Nachbarssohn nie gesehen, nur ihren Hund, einen Schäferhund. Der stand die ganze Nacht über auf der Veranda und bellte. Wenn ich mit der Schule fertig war, fuhr ich lieber mit der Straßenbahn in die Altstadt und traf mich mit Solo und Geir. Mutter und Vater luden die ganze Nachbarschaft zum Grillen ein, aber alle fanden sie eine Entschuldigung, lehnten dankend ab. Ich kann mich an den Grillgeruch und das Lachen in den anderen Gärten in diesem Sommer noch gut erinnern. Es kamen nie Gegeneinl a dungen. «
    Harry unterbrach ihn in seinem Redefluss, ganz auf seine Aussprache konzentriert: » Und wo ist die Pointe bei dieser Geschichte? «
    » Es steht dir frei … Soll ich aufhören? «
    » Aber nein. Im Fernsehen kommt heute sowieso nichts G e scheites mehr. «
    » Eines Sonntags wollten wir wie gewöhnlich in die Kirche. Ich stand draußen auf der Straße und wartete auf Vater und Mutter und beobachtete den Schäferhund, der frei im Garten herumlief und mich über den Zaun hinweg anknurrte. Ich weiß nicht, warum ich es tat, aber ich ging hin und machte die Gartentür auf. Vielleicht dachte ich, er sei aus Einsamkeit so böse. Der Köter sprang mich an, warf mich zu Boden und biss mir in die Wange. Die Narbe habe ich heute noch. «
    Waaler deutete auf sein Gesicht, doch Harry fand nichts.
    » Der Richter rief den Hund von der Terrasse aus zurück. Und mir befahl er, aus ihrem Garten zu verschwinden. Mutter weinte auf dem Weg in die Notaufnahme, und Vater sagte kaum ein Wort. Als wir wieder nach Hause kamen, wa r m eine Backe vom Kinn bis unter das Ohr genäht, mit einem dicken, schwarzen Faden. Mein Vater ging hinüber zum Richter. Bei seiner Rückkehr war sein Blick finster, und er sagte noch weniger. Wir aßen

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