Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
zu tun, während irgendwo ein sterbendes Kind auf seine Hilfe wartete. Er packte seinen Flachmann und nahm einen großen Schluck. Wenigstens dazu bin ich imstande. Er wünschte, er hätte eine ganze Flasche, oder vielleicht sogar zwei.
Dann fiel ihm Fulcanellis Journal ein. Er bückte sich steif und angelte es aus seinem Seesack. Dann legte er sich mit dem Buch zurück auf das Bett und blätterte durch die Seiten bis zu der Stelle, wo er aufgehört hatte zu lesen.
3. September 1926
Nun ist es tatsächlich geschehen: Der Schüler hat den Meister herausgefordert. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich immer noch Daquins Worte in meinen Ohren, wie er mich heute im Labor zur Rede gestellt hat: Seine Augen funkelten, und die Fäuste waren in die Hüften gestemmt.
«Aber Meister!», protestierte er. «Ist das nicht selbstsüchtig von uns? Wie könnt Ihr sagen, dass es richtig ist, derart bedeutsames Wissen geheim zu halten, wo es doch so vielen Menschen helfen könnte? Seht Ihr denn nicht all das Gute, das es imstande ist zu bewerkstelligen? Überlegt doch nur, wie es alles ändern würde. Wirklich alles!»
«Nein, Nicholas», widersprach ich ihm. «Ich bin nicht selbstsüchtig. Ich bin vorsichtig. Diese Geheimnisse sind sehr bedeutsam, das stimmt. Aber sie sind zugleich auch viel zu gefährlich, um sie jemandem zu offenbaren. Einzig die Eingeweihten, die Adepten, dürfen je über dieses Wissen verfügen.»
Nicholas starrte mich wutentbrannt an. «Dann sehe ich keinen Sinn darin!», rief er entrüstet. «Ihr seid ein alter Mann, Meister. Ihr habt den größten Teil Eures Lebens mit der Suche verbracht, doch es war alles umsonst, wenn Ihr es nicht benutzt. Setzt es ein, um der Welt zu helfen.»
«Und du bist jung, Nicholas», entgegnete ich. «Zu jung, um die Welt zu verstehen, der du so dringend helfen möchtest. Nicht jeder ist so reinen Herzens, wie du es bist. Es gibt Menschen auf dieser Welt, die dieses Wissen ohne Zögern zur Befriedigung ihrer eigenen Gier und zu ihrem Vorteil einsetzen würden. Nicht, um Gutes zu bewirken, sondern um Unheil über andere zu bringen.»
Auf dem Tisch neben uns lag die uralte Schriftrolle in ihrer ledernen Umhüllung. Ich nahm sie hoch und schüttelte sie vor seinem Gesicht. «Ich bin ein direkter Nachfahre der Schöpfer dieser Weisheit», erklärte ich. «Meine katharischen Vorfahren wussten, wie bedeutsam es ist, ihre Geheimnisse zu wahren, koste es, was es wolle. Sie wussten, wer danach auf der Suche war, und sie wussten auch, was geschehen würde, falls sie in falsche Hände gerieten. Sie gaben ihr Leben in dem Bemühen, dieses Wissen zu schützen.»
«Ich weiß, Meister, aber –»
«Kein Aber!», unterbrach ich ihn. «Dieses Wissen, mit dem wir ausgezeichnet wurden, bedeutet Macht, und Macht ist etwas Gefährliches. Sie korrumpiert die Menschen und zieht das Böse an. Das ist der Grund, aus dem ich dich vor der Verantwortung gewarnt habe, die dir auferlegt wurde. Und vergiss nicht – du hast einen heiligen Eid geschworen, Schweigen zu bewahren.» Ich ließ traurig den Kopf hängen und fügte leise hinzu: «Ich fürchte, ich habe dir viel zu viel enthüllt.»
«Bedeutet das, dass Ihr mir nichts mehr beibringen werdet? Was ist mit dem Rest? Was ist mit dem zweiten großen Geheimnis?»
Ich schüttelte den Kopf. «Es tut mir leid, Nicholas. Es ist einfach zu viel Wissen für jemanden, der noch so jung ist an Jahren und so unbesonnen. Ich kann nicht ungeschehen machen, was ich bereits an Schaden angerichtet habe. Aber ich werde dich nicht weiter ausbilden, bevor du nicht größere Weisheit und Reife erreicht hast.»
Bei diesen Worten stürmte er aus dem Laboratorium. Ich konnte sehen, dass er den Tränen nah war. Und auch ich spürte ein heißes Messer in meinem Herzen angesichts dessen, was nun zwischen uns gekommen war.
Ben hörte ein leises Klopfen an der Tür. Er blickte von Fulcanellis Journal auf, als die Tür einen Spaltbreit geöffnet wurde und Roberta den Kopf hereinstreckte.
«Wie geht es dir?», fragte sie. Sie blickte besorgt drein, als sie die Tür ganz öffnete und ein Tablett brachte.
Er klappte das Journal zu. «Schon wieder ganz gut», antwortete er.
«Hier, ich habe dir etwas zu essen gemacht.» Sie stellte ihm eine Schale mit dampfender Hühnersuppe hin. «Iss, solange sie heiß ist.»
«Wie lange war ich bewusstlos?»
«Zwei Tage.»
«Zwei Tage!» Er nahm einen raschen Schluck von seinem Whiskey und zuckte schmerzvoll zusammen bei der
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