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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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zukamen. Banny gab sich störrisch. Empört rief er: »Was wollt ihr? Ich war’s nicht!« Mr. McMahon ergriff sanft meinen Ellbogen und führte mich zu den beiden Polizisten. Diese fassungslose Stille in der Klasse.
    An die Stunden und Tage danach kann ich mich nicht mehr allzu deutlich erinnern. Aber ich weiß, dass es nicht sehr lange dauerte, uns zum Sprechen zu bringen. Banny und ich wurden getrennt vernommen, und binnen Minuten hatten wir uns in unseren Aussagen widersprochen. Die ganze Sache flog uns um die Ohren, brach um uns herum zusammen. Und dann die Zelle. Wie hart und kalt die Pritsche war. Die Toilette in der Ecke. Die ungläubigen Gesichter meiner Eltern. Polizeibeamte und Psychologen aus Glasgow, sogar aus Edinburgh, befragten uns zu dem Vorfall in Miss Gilchrists Englischunterricht ein paar Wochen zuvor. Sie vernahmen jeden in der Klasse. Da war diese Frau, die in der Ecke saß, mich anstarrte und alles mitschrieb. Ein flüchtiger Blick auf den weinenden Tommy durch die offene Tür eines anderen Verhörraums. Die meisten der Polizisten behandelten uns recht höflich – abgesehen von einem älteren, ziemlich harten Typen mit dichtem, schwarzem Schnauzbart, der, wie ich hinterher erfuhr, die Leiche gesehen hatte. Als er mich nach weiteren Verhören in die Zelle zurückbrachte, flüsterte er mir zischend zu: »Ihr seid grausame, bösartige, kleine Monster. Ich hoffe, dass sie die Schlüssel für eure Zellen wegwerfen.«
    Eine Woche später war ich »Junge C«.

27
    Im Winter 1982 begann in Glasgow der Prozess, bei dem ich Gill Docherty zum letzten Mal gesehen hatte.
    Es dauerte Monate, den Fall vor Gericht zu bringen, bis die Psychologen und Sozialarbeiter Profile von uns erstellt hatten und die Anklage durch den Staatsanwalt vorbereitet war. Wir wurden alle in verschiedenen Jugendstrafanstalten untergebracht: Banny in der Nähe von Edinburgh, Tommy weiter nördlich, außerhalb von Aberdeen, und ich in der Nähe von Glasgow.
    Die schottische Presse wollte derweil Blut fließen sehen. Sie forderten die »Todesstrafe!«, betitelten uns als »das Erzböse«. Die Zeitungen ließen sich lang und breit über Craig Dochertys solides, liebendes Elternhaus aus. Seine außergewöhnlichen akademischen Ambitionen. Unser Leben wurde als »chaotisch« und »kaputt« bezeichnet. Meine Eltern waren im Sommer zwei- oder dreimal zu Besuch gekommen. Meine Mutter hatte weinend dagesessen und immer nur »Wieso? Wieso nur?« gefragt. Mein Vater hatte stoisch geschwiegen, mich mit kaltem Argwohn angesehen, bis er beim letzten Besuch nach fünf Minuten aufstand und sagte: »Du bist nicht mein Sohn.« Sie hatten zweimal umziehen müssen. Ständig wurden ihre Fenster eingeschlagen, die Wände mit Beschimpfungen wie »Mörder« und »Schweine« beschmiert. Leute spuckten sie auf der Straße an, und schließlich schrieb meine Mutter besagten Brief. Sie kamen nicht zum Prozess. Ich habe nie wieder von ihnen gehört.
    In den Zeitungsartikeln kam ich noch am besten weg. Ich sei ein »schüchterner, leicht zu verführender Junge«, hieß es da, mit »der Fähigkeit zu bereuen«, »einigem Bildungspotenzial« und einer »reellen Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft«.
    Tommy dagegen war nur »äußerst beschränkt in der Lage«, die Konsequenzen seines Handelns zu verstehen. Es bestünde »wenig Hoffnung« auf Besserung, da sein IQ mit 72 »an der Grenze zum Schwachsinn« liege.
    Sie schossen sich auf Banny ein, dem sie eine »brutale, bösartige Persönlichkeit« mit einem »immensen Drang zur Grausamkeit« attestierten. Sie fanden Hinweise auf sexuellen Missbrauch. Es hieß, er habe große Schwierigkeiten, so etwas wie »Mitgefühl oder Reue« für sein Handeln auszudrücken. Banny war von uns dreien derjenige, der sich am längsten dagegen sperrte, den Mord an Docherty zuzugeben. Er schob mir die Tat in die Schuhe. Tommy, von dem mein Anwalt behauptete, dass er sich von Banny manipulieren ließ, machte mich ebenfalls verantwortlich. Als Banny schließlich »eine Teilschuld« an dem Mord einräumte, geschah das auf eine Weise, die der Staatsanwalt als »dreisten Versuch, sich dem vollen Strafmaß zu entziehen« bezeichnete. Im Gerichtssaal blickten Tommy und ich zu Boden. Banny starrte trotzig und uneinsichtig geradeaus. Der Richter nannte seine Attitüde »störend«. Offenbar war es ungewohnt für ihn, von einem minderjährigen Straftäter provoziert zu werden.
    Ich kann mich an sie erinnern, wie sie im Gericht

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