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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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bereithielt.
    Aber nicht für deinen aufgeweckten, immer und an allem interessierten Craig. Schon mit neun Monaten konnte er richtige Gespräche führen, mit drei Jahren lesen.
    Es war eine schwere Geburt, die dich beinahe umgebracht hatte. Vierzig Stunden lagst du in den Wehen, bevor sie notoperierten. Nach dem Kaiserschnitt begannen die Komplikationen. Wieder ging es auf den OP-Tisch, diesmal zur Hysterektomie. Aber du hattest Craig. Und eine ganze Zeit lang wart ihr drei so glücklich.
    Bis die Schule begann.
    Craig saß in seinem Zimmer über den Hausaufgaben, als du ihm Kekse und Milch brachtest, und du sahst sofort, dass er geweint hatte. Einmal kam er mit einem blauen Auge und zerschlagenem Gesicht nach Hause. Du drehtest durch. Gingst zum Direktor, obwohl Craig dich angefleht hatte, das nicht zu tun, und sorgtest dafür, dass der Junge, der dafür verantwortlich war, vom Unterricht suspendiert wurde. Du weintest, und dein kleiner Junge umarmte dich und sagte: »Nicht weinen, Mommy.« Danach wusstest du, dass er dir nicht alles erzählte, was in der Schule passierte. Er wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Und nach seinem Tod war der Schmerz dieser Erkenntnis mehr, als dein Verstand ertrug. Bereits angeknackst, brach er endgültig entzwei.
    An jenem Samstag im Mai verwandelte sich deine Sorge allmählich in Panik, als der Nachmittag erst in den frühen Abend überging und schließlich die Dunkelheit hereinbrach, ohne dass dein kleiner Liebling nach Hause gekommen war. Die Angst schlug dir so auf den Magen, dass du dich übergeben musstest. Als Stephen mit dir zur Polizeiwache fuhr, tätschelte er beruhigend deine Hand und sagte: »Alles kommt in Ordnung, es geht ihm sicher gut. Er hat sich bloß verlaufen.« Aber du wusstest es bereits. Du wusstest, dass etwas Schreckliches geschehen war. Die Tage danach: Du warst wie betäubt. Zitternd hattest du immer wieder nach dem Telefon gesehen und den Fernseher angemacht. Die Pressekonferenz: Blitzlichter und Leute, die dumme, nichtige Fragen stellten. (»Wie fühlen Sie sich?«) Schließlich der Augenblick, als am Donnerstagmorgen der Polizeiwagen vor eurem Haus hielt und du die Beamten eure Auffahrt heraufkommen sahst, vorbei an den Reportern, die sich dort seit drei Tagen jeden Morgen versammelten. Du sahst den Ausdruck im Gesicht des führenden Ermittlers und erkanntest darin etwas – jenseits von Bedauern, jenseits von Besorgnis und Nervosität. Es war die blanke Angst , und das konnte nur eines bedeuten.
    Stephen schrie, als sie es euch erzählten.
    Du gingst in die Knie, auf dem Teppich neben dem Couchtisch. Die Welt wirbelte um dich herum. Farben und Gerüche waren plötzlich irrsinnig intensiv, die welken Narzissen auf dem Tisch leuchtend und duftend. Die Schuhe des Polizisten – Schuhcreme und Leder – direkt vor deinem Gesicht, als du zitternd zusammenbrachst.
    Wie gut du dich in den kommenden Jahren an die Details jenes letzten gemeinsamen Morgens erinnern solltest. Jeden Augenblick hattest du dir wieder und wieder vor Augen geführt, die Details herausgearbeitet, sie poliert, zum Glänzen gebracht, bis dein Schmerz so unerträglich wurde, dass du manchmal dachtest, er würde dich zerreißen.
    Da es Wochenende war, hattet ihr alle zusammen ausgiebig gefrühstückt: gekochte Eier, Toast, Tee für dich, Kaffee für Stephen und Orangensaft für Craig. Der kleine Eigelbfleck auf seiner Unterlippe, du kannst ihn immer noch sehen, wie er im Licht der Frühlingssonne leuchtete, das die Küche durchflutete. Im Hintergrund lief das Radio, Stephen las die Sportseiten des Herald und du den Nachrichtenteil.
    Craig ging nach dem Frühstück auf sein Zimmer, um seine Hausaufgaben zu erledigen. So war er, dein kleiner Junge. Er machte samstagmorgens ungebeten seine Hausaufgaben. Später stecktest du den Kopf durch seine Tür, um ihn zu fragen, was er auf seine Sandwiches wolle: Käse und Schinken oder nur Schinken? Er saß an seinem Schreibtisch inmitten von Büchern und Heften. »Nur Schinken, bitte«, sagte er. (Wirklich? Hatte er »Bitte« gesagt? Meistens tat er das, aber nicht immer. Wie sehr du dir wünschst, dass er damals »Bitte« gesagt hat.)
    In den Frühlings- und Sommermonaten ging er für sein Leben gern angeln. Stephen hatte ihn schon mitgenommen, als Craig noch klein war. Aber erst im letzten Jahr, nachdem er dreizehn geworden war, hattet ihr ihm erlaubt, auf eigene Faust loszuziehen – solange er vor der Dämmerung zurück war. Und das war er. Das

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