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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Stephen mit seiner Aktentasche in die Küche trat. Blinzelnd hobst du den Kopf und sahst, dass es bereits fünf Uhr war. Die Nachmittage, die du allein zu Hause mit den Kinderfotos verbrachtest, ließen ihn in deinem Kopf wieder aufleben. Er lief und sprach wieder für dich. Und du hattest gelacht und in die Hände geklatscht, wenn er etwas besonders Witziges oder Gelungenes tat.
    Für Stephen war es schlimmer. Als Mann bemühte er sich, es zu verdrängen. Er ging weiter zur Arbeit. Und um das tun zu können, griff er von Anfang an zur Flasche – ein Trost, dem du dich erst später hingabst. Die erste Flasche Whyte & Mackay hattest du im Kofferraum des Autos gefunden, dann eine kleine in seiner Aktentasche. Bittere Vorwürfe waren die Folge. Der Streit um das Schulgeld wiederholte sich in deinem Kopf wieder und wieder. Wenn wir doch nur … hätten wir bloß … und das alles in einer endlosen Schleife.
    Und dann kam jener Morgen in der Woche vor Ostern – es war das zweite Ostern ohne Craig. Als du früh wach wurdest, lag Stephen nicht im Bett. Was eigentlich nicht so ungewöhnlich war, da er damals nur wenig schlief. Du gingst nach unten in die Küche, wo der Teekessel zwar noch warm war, aber der Tee in der Tasse bereits kalt wurde, als hätte er ihn aufgesetzt und dann vergessen. Es herrschte völlige Stille im Haus, obwohl es noch viel zu früh für ihn war, um zur Arbeit zu gehen.
    Dann fiel dir auf, dass die Tür offen stand, die zum Hauswirtschaftsraum und dann zur Garage führte. Du brauchtest zwölf Schritte, bis du an der Garagentür warst – und da war er. Stephen Docherty, dein Ehemann, sich langsam im Kreis drehend, die Füße ein paar Zentimeter über dem Boden, neben ihm die kleine, weiße Trittleiter. Die Urinpfütze unter ihm. Er trug keine Schuhe und hatte ein Stück blaue Wäscheleine um einen der Balken geknotet. Du schriest nicht sofort, sondern standest bloß da, während deine Pupillen in dem schummrigen Licht immer größer wurden, und lauschtest dem sanften Knarzen, das dich an eine Hängematte, an Segelschiffe erinnerte. Sein Gesicht war lila wie ein rohes Herz, seine Zunge angeschwollen.
    Ihr wart achtzehn Jahre verheiratet.
    Du glaubtest, finanziell erst einmal versorgt zu sein, da Stephen erst kurz vor Craigs Tod eine neue Lebensversicherung abgeschlossen hatte. Du konntest dich noch an den Abend des Vertragsabschlusses erinnern, an das süße, nach Kokosnuss duftende Rasierwasser des Versicherungsvertreters im Wohnzimmer. An Stephen, der sich über die Papiere gebeugt und die Brille aufgesetzt hatte, bevor er unterschrieb – mit dieser übertrieben schwungvollen Geste, wie sie für Männer wohl typisch ist. Du hattest keine Ahnung – woher auch? –, dass die Police durch einen Selbstmord innerhalb von zwei Jahren nach Unterzeichnung automatisch gegenstandslos wurde. Hätte er es bei der alten Versicherung belassen, wäre alles in Butter gewesen. Das war keine Ironie des Schicksals, sondern bloß eine weitere Szene in dem Horrorfilm, in den dein Leben sich verwandelt hatte. Es folgte ein nervenaufreibendes Tauziehen zwischen deinen Anwälten und der Versicherungsgesellschaft, die aufgrund des extremen Stresses und des Traumas, das du durchlitten hattest, schließlich nachgab und einer Vergleichszahlung zustimmte. Du bekamst einen Scheck über 1048 Pfund. »Unter Vorbehalt.« Noch nicht einmal die Rechnungen der Anwälte und des Bestatters konntest du damit begleichen.
    Du musstest dein geliebtes Haus verkaufen.
    Und so kam es, dass du – nachdem du 1987 in eine Zweizimmer-Sozialbauwohnung in der Nähe des Hafens umgezogen warst – deinerseits das Trinken entdeckt hattest. Anfangs war es nur Wein. Rasch kamst du zu der Erkenntnis, dass du dich halbwegs durch den Tag schleppen konntest, bevor der Drang, die erste Flasche süßen Weißwein zu entkorken, gegen fünf Uhr schließlich übermächtig wurde. Du warst nie eine große Trinkerin gewesen, und bereits ein oder zwei Gläser süßen Weins ließen die schäbige, kleine Wohnung wärmer und heimeliger erscheinen. Die Flasche hielt dich auf den Beinen, bis dich abends um zehn auf dem Sofa der Schlaf übermannte, wo Craig und Stephen dich in deinen Träumen erwarteten. Die Arme ausgebreitet, strömte ihre Liebe dir wie Licht entgegen. Doch aus fünf Uhr wurde dann vier Uhr. Aus einer Flasche wurden zwei. Und schon bald trankst du von mittags bis abends. Und wo früher ein Glas gereicht hatte, brauchtest du inzwischen eine

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