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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Flasche.
    Was für eine Offenbarung das war, als du den Schnaps für dich entdecktest. Dass ein halbes Glas Wodka dieselbe Wirkung auf dich hatte wie eine halbe Flasche Wein! Und zwar auf der Stelle! Es war ein Gefühl, als hättest du die Kernspaltung entdeckt oder im Schleim auf dem Boden einer Petrischale das Penicillin gefunden. Nicht lange, und eine Flasche Smirnoff langte gerade noch so, dich über den Tag zu retten. Von deinem Schlafzimmerfenster aus konntest du das Meer sehen, die Flussmündung, wo sie Craigs Leiche gefunden hatten. »Fünf Faden tief er liegt …« Stundenlang saßt du dort – die Augen feucht vom billigen Wodka, den Blick aufs Meer hinaus gerichtet, auf die blumenkohlförmigen Wolken, die über den grauen Himmel zogen – und summtest kleine Liedchen vor dich hin. Eines Morgens lagst du betrunken und kichernd mit Craigs rotem Pulli über dem Kopf in deinem Kleiderschrank. Dir wurde klar, dass du im Begriff warst, wahnsinnig zu werden. Ja, dass du vor Trauer längst wahnsinnig warst, aber der Alkohol dich wie eine flüssige Doppelverglasung um Haaresbreite vom düsteren Abgrund der völligen Umnachtung getrennt hatte.

30
    Als ich wieder zu mir kam, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Jedenfalls hatte sie in der Zwischenzeit Walts Hand bandagiert. Wo einmal sein kleiner Finger gewesen war, glänzte ein tiefschwarzer Blutfleck auf dem weißen Verband. Wieder krampfte mein Magen, trockenes Würgen schnürte mir die Kehle zu. Aber es war nichts mehr da, was ich hätte erbrechen können.
    »Also, William«, sagte sie und kam auf mich zu. Walts Kopf hing auf seiner Brust. Ich konnte nicht erkennen, ob er bei Bewusstsein war oder nicht. »Was machen wir jetzt mit dir? Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob du mir die volle Wahrheit gesagt hast. Ich hatte es zwar gehofft, angesichts der kleinen Demonstration eben …« Sie deutete mit dem Messer auf Walt, Klümpchen getrockneten Blutes hingen zwischen den gezackten Zähnen der Klinge. »Vor Gericht habt ihr euch alle gegenseitig beschuldigt. Keiner von euch hat jemals den Mumm gehabt, sich zu der Tat zu bekennen. Die beiden anderen haben immer darauf beharrt, dass du es warst. Ich habe dich nie so richtig durchschaut. Du hast auf mich immer einen ziemlich gewieften Eindruck gemacht. Schienst dich für besonders clever zu halten.«
    »Es war Banny.«
    »Hmm. Vielleicht sollte ich dich noch ein wenig motivieren …« Sie ging zu ihrer Tasche, hielt aber plötzlich inne, hob den Kopf und blickte zur hölzernen Kellerdecke hinauf. Beim zweiten Mal konnte ich es auch hören: ein schwaches Bimmeln, wie von einer Mikrowelle.
    Die Türklingel.
    Beim dritten Klingeln drehte sie sich zu mir um und sah mich zweifelnd an. Sie beugte sich zu mir herab, bis ihre Nasenspitze fast die meine berührte. Und während sie mir ein frisches Stück Klebeband über den Mund klebte, flüsterte sie: »Solltest du mit dem Gedanken spielen, etwas Dummes zu tun, weil du davon ausgehst, dass es für dich nicht noch schlimmer kommen kann …« Sie trat zurück, hob das Messer und presste es mir unter die Nase. »Glaub mir, es kann. Hast du mich verstanden, William?«
    Ich nickte.
    »Gut. Und versuch bloß nicht wieder, dich zu übergeben, solange du das Klebeband vor dem Mund hast. Ich will nicht, dass du mir vorzeitig wegstirbst.«
    Sie steckte das Messer hinten in ihre Jeans. Dann nahm sie einen großen, verchromten Revolver von der Werkbank, stopfte ihn in den vorderen Bund und zog den Pullover darüber. Bevor sie die Treppe hinaufstieg, überprüfte sie ihre Erscheinung in einem kleinen Spiegel, der an der nackten Backsteinwand hing. Sie fuhr sich durchs Haar, und mit dem Gestus einer Frau im Abendkleid, die sich für die Oper zurechtmacht, wischte sie sich einen Spritzer von Walts getrocknetem Blut von der Wange. In ihren schweren Stiefeln stapfte sie die Holzstufen hinauf und war dann verschwunden.
    Walts verstümmelte Hand war immer noch frei.

31
    »Mmmf!« Das Klebeband verhinderte jeden Versuch, zu sprechen. »Ummm!« Langsam blickte Walt auf. Er schien verwirrt, als stünde er unter Drogen. Offensichtlich hatte er einen Schock. In seinen wunden, roten Augen stand das nackte Grauen. Ich zuckte mit dem Kopf, nickte verzweifelt Richtung Tisch, flehte ihn an, meinem Blick zu folgen. Schließlich drehte er sich um und sah es.
    Ein winziges, silbernes Skalpell, direkt an der Tischkante.
    »Ummm!« Bitte, Walt, kapier doch endlich. Es lag nur ein

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