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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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beigesetzt. Es kam überall in den Nachrichten. Ich lag noch auf der Intensivstation, und Walt war völlig katatonisch. Monate später bat er mich, das Grab seiner Mutter sehen zu dürfen, also fuhr ich mit ihm dorthin. Er hat nicht geweint. Als könne er nicht begreifen, dass dort unter seinen Füßen die Knochen der Frau lagen, die ihn geliebt und großgezogen hatte. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was da unten war. Das Video. Die Leichenhalle. Gill Docherty alias Irene Kramer tötete insgesamt neun Menschen. Dies sind ihre Namen:
    PAUL CARDEW
    SAMANTHA MYERS
    SGT. RICHARD DANKO, REGINA PD
    OFFICER SARA HUDSON, REGINA PD
    SGT. MATT HELM, REGINA PD
    JAN FRANKLIN
    WILLIAM ROBERTSON
    SAMUEL MYERS
    MICHAEL RAWLS
    Zusammen hinterlassen diese Menschen mehr als sechzig nahe Angehörige: Partner, Eltern, Kinder. Wer vermag all die schlaflosen Nächte, die Tränen, die Schreie zu zählen? Die endlosen Stunden, die sie ins Leere starren, sich das Ende ihrer Lieben, die letzten Momente ausmalen? Denn Mord ist eine Nagelbombe, die alles rundherum dem Erdboden gleichmacht, über Jahre hinweg Tod und Zerstörung verbreitet, weit über ihr Epizentrum hinaus.
    Walt und ich besitzen eine Menge Geld – Sammys Vermögen, die Versicherung –, und rein theoretisch würde uns nach dem Tod von Walts Großmutter noch mehr zufallen. Aber Mrs. Myers versucht gerade, gerichtlich durchzusetzen, dass meine Ehe mit ihrer Tochter annulliert wird. Sie ist aufgebracht und hat einen doppelten Verlust erlitten. Sie will sicherstellen, dass Walt alles erbt, wenn er einundzwanzig ist, und dass ich nicht zu seinem Vormund bestellt werde, sollte sie vorher sterben. Es ist mir egal. Ich werde nichts dagegen unternehmen.
    Wenn man zwar Geld, aber weder Job noch Freunde oder Familie besitzt, hat man reichlich Zeit, um nachzudenken. Was ist damals am Flussufer passiert, in diesen Momenten der Raserei, die den Verlust und Ruin so vieler Menschen nach sich ziehen sollten? »Was Fliegen sind den müß’gen Knaben«, hatte Mr. Cardew gesagt. Doch ich war nicht nur ein böser Junge gewesen. Ich war schlimmer als das, schlimmer als Tommy und schlimmer als der tyrannische Banny. Ich war der Lakai des Tyrannen. Mir war bewusst, dass etwas Schreckliches und Falsches geschah. Und dennoch versuchte ich, ihn zu beeindrucken, indem ich ihn übertrumpfte. »Wenn alle von der Brücke springen, würdest du es dann auch tun?«, hieß es damals immer. Und die Antwort lautete: Ja. Von einer größeren Brücke. Einer höheren Brücke. Dem Steinmäuerchen, meine Silhouette von Sonnenlicht umrahmt, unter den schadenfrohen, beeindruckten Blicken meiner Freunde.
    Beim vielen Lesen hier in der Sonne Floridas stolperte ich über eine Definition der Hölle – vielleicht bei Joyce? –, die besagt, dass der Sünder seine Zeit dort in Gesellschaft derjenigen verbringt, mit denen er seine schlimmsten Sünden verübt hat. Immer wenn ich an Sammy denke, wenn ich verzweifelt ein tröstendes Bild von ihr bemühe – ihr Gesicht, ihre Stimme, einen gemeinsamen Moment –, ist es ihr Beinahe-Namensvetter, der mich in den Windungen meines Verstandes erwartet. Mit seinem prahlerischen Gang, seinen Worten, seinem verächtlichen Spucken, während er sich die Harrington glatt streicht. Ja, es stimmt. Es wäre eine höllische Vorstellung, so viel Zeit in Bannys Gesellschaft verbringen zu müssen.
    Walt ist jetzt fast elf. Beinahe so alt wie Craig, als wir ihn umgebracht haben. Siehst du? Du kannst es immer noch nicht sagen. Als wir ihn umgebracht haben? Nein, als du ihn umgebracht hast. In der Schule weiß niemand, wie er seinen kleinen Finger verloren hat, was ihm wirklich zugestoßen ist. Mein Sohn hat jetzt einen fingierten Lebenslauf. Eine Legende. Mein Vermächtnis an ihn. »Und er sucht heim die Missetat der Väter über die Kinder …«
    Gill Docherty. Es sind jene immer noch viel zu seltenen Momente, in denen Walt ganz ins Spiel vertieft ist, oder wenn sein Gesicht in kindlicher Freude erstrahlt, weil ich ihn mit etwas zum Naschen, einem unerwarteten Geschenk überrasche, in denen ich meine, sie halbwegs zu verstehen. Dann stelle ich mir vor, wie mein Junge nach Tagen aus dem Fluss gefischt wird, wie er mit gebrochenem Blick auf einer stählernen Pritsche liegt, und ich verspüre ihre Wut. Sie berauscht mich wie Wein, peitscht mich auf und setzt mich unter Hochspannung. Im Verstand eines jeden Vaters, einer jeden Mutter, befindet sich eine Tür, die man besser nicht öffnet. Denn

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