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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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bevölkerten das hallende, höhlenartige
Bahnhofsgebäude. Reinigungspersonal war damit beschäftigt, den Müll
zusammenzufegen, den jede Versammlung von mehr als fünf Personen zu
hinterlassen scheint. Ich sah einen Wachmann an einem der mächtigen,
altmodischen Ledersessel im Wartebereich lehnen und eilte zu ihm. »Dieses Transparent
da«, sagte ich und zeigte mit dem Finger darauf, »wissen Sie, von wem das
kommt?«
    Er sah hoch und zuckte die
Achseln. »Nicht mein Ressort. Was soll das überhaupt bedeuten? Ein Mädel aus
Savages Tross hat einen Schreikrampf gekriegt, als sie’s gesehen hat, und seine
Security-Leute waren auch nicht grade glücklich —«
    Ein Gong erklang über die
Lautsprecheranlage, und eine Männerstimme hallte von den marmor- und
holzverkleideten Wänden wider: »Letzter Aufruf für den Midnight Train to
Nowhere mit Fahrtrichtung Osten, über Albuquerque, Dallas, Austin, New
Orleans...«
    Während der Sprecher sämtliche
Stationen der Fünfundzwanzig-Städte-Tour herunterspulte — noch so eine clevere
Idee von Rickys PR-Managerin rannte ich in Richtung des weißen Leuchtschilds
mit der Aufschrift »Zu den Zügen«.
    Das Mädel mit dem Schreikrampf
war zweifellos Linda Toole gewesen. Nachdem sie monatelang dieses
Abfahrts-Event geplant hatte, war sie die letzten zwei Tage mit
Schadensbegrenzung beschäftigt gewesen. Obwohl sie nicht wissen konnte, was das
unautorisierte Transparent wirklich besagte, hatte sie doch vermutlich gesehen,
dass Rickys Reaktion gar nicht positiv war. Und wenn der Star schon gleich zu
Tourbeginn aus dem Gleichgewicht geriet, was, zum Teufel, würde dann aus ihren
sorgsam gehätschelten Pressekontakten werden?
    Was, zum Teufel, würde mich
erwarten, wenn — falls — ich diesen Zug bestieg?
    Ich streckte dem Wachmann an
der Sperre meinen Passierschein hin. Er drückte hastig die Taste seines
Walkie-Talkies und sagte: »Noch nicht abfahren, da ist noch jemand.« Dann
deutete er nach links. »Gleis neun — aber schnell.«
    Der Gang war lang und hell
erleuchtet. Ich rannte unter Schildern durch, die Geleise zu beiden Seiten
anzeigten — eins und zwei, fünf und sechs. Neun war natürlich ganz am anderen
Ende. Dort stand ein Amtrak-Angestellter und zeigte in die betreffende
Richtung. Ich bedankte mich im Abschwenken — und sah mich vor einer langen,
steilen Aufgangsrampe.
    »Verdammt«, keuchte ich und
nahm sie in Angriff.
    Die Rampe verlief in verschieden
steilen Abschnitten, sodass ich zwischendurch leichter, dann wieder mühsamer
vorankam. Die Luft von draußen schlug mir entgegen — schwülwarm und voller übel
riechender Emissionen. Ich versuchte, nicht zu viel davon in meine Lunge zu
ziehen, aber sie drangen trotzdem hinein, und ich musste husten. Ich hörte die
Lok droben grollen, aber die Rampe schien endlos; plötzlich ebenen Boden unter
den Füßen zu haben, war so ein Schock, dass ich taumelnd innehielt.
    »McCone! Hierher!«
    Ich schwenkte herum. Hy stand
neben dem letzten von vier zweistöckigen silbernen Waggons mit einem Mann, der
— aus der dunkelblauen Jacke und der Mütze zu schließen — wohl ein Schaffner
war. Die Fenster der Waggons waren hell erleuchtet, und in den oberen
Stockwerken wimmelte es von Menschen. Ich rannte hin, und Hy schob mich die
Trittstufen hinauf. Der Schaffner gab ein Handsignal in Richtung Lok und stieg
hinter uns ein.
    Wir befanden uns in einem
kleinen Vorraum mit Gepäckfächern rechts und links und einer schmalen Treppe
nach oben. Von dort kamen Lachen und Stimmengewirr. Ich lehnte mich keuchend an
die Wand; der Schaffner zwängte sich um Hy herum und verschwand durch eine Tür
in Richtung des vorderen Zugteils.
    »Wo, zum Teufel, warst du?« Hys
Gesicht war zornrot und steinern, und das schockte mich. So hatte ich ihn nur
einmal gesehen, als ich mich ins Zentrum einer drohenden Explosion hatte
stürzen wollen und er mich eines Todeswunschs bezichtigt hatte.
    »Ich bin einer Spur
nachgegangen«, erklärte ich defensiv.
    »Du konntest nicht anrufen?«
    »Ich hab’s so um fünf nach elf
versucht, da bist du nicht drangegangen.«
    »Weil ich damit beschäftigt
war, Ricky und Rae in die Limousine zu kriegen, ehe seine Fans sie auseinander
nehmen konnten. Du hättest es nochmal versuchen können.« Seine Augen waren
schmal und verschossen zornige Blitze — ein Blick, von dem ich mir nie hätte
vorstellen können, dass er mich einmal treffen würde. Hier ging es um mehr als
nur darum, dass ich nicht angerufen hatte.

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