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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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»Hey«, sagte ich, »tut mir Leid.«
    »Das macht es auch nicht
ungeschehen.«
    Ich sagte mir, dass es keinen
Streit wert war. Ich sagte mir, dass wir heute Nacht als Team funktionieren
mussten. Doch dann brachen die ganze Anspannung und Nervosität der letzten
sechs Tage aus mir heraus, und ich fauchte: »Und überhaupt, wer bin ich denn?
Deine Angestellte?«
    Er wurde weiß um die Lippen.
»Nein«, sagte er, und seine Stimme bebte vor mühsam gezügelter Wut. »In dieser
konkreten Sache bin ich dein Angestellter, und ich sage dir eins — du solltest
lernen, die Leute, die für dich arbeiten, rücksichtsvoller zu behandeln.« Und
damit drehte er sich weg und begann, die Treppe zu erklimmen. »Wo, zum Teufel,
willst du hin?«
    »Meine Bodyguard-Pflichten
wahrnehmen. Falls du’s noch nicht kapiert hast, wir haben — du hast — einen
Klienten, der ganz schön geschockt ist und sein Bestes tut, trotzdem gute Miene
zu machen.«
    »Er hat das Transparent
gesehen?«
    »Wie hätte er’s übersehen
sollen?« Hy verschwand um die Biegung der Treppe.
    Ich blieb stehen und presste
Hände und Körper an die Wand. Der Zug fuhr jetzt sanft schuckelnd an. Ich
schloss die Augen und dachte, Himmel, was war das?
    Ich wusste, Hy mochte die
Security-Arbeit nicht besonders, hatte den Job nur meinetwegen übernommen. Als
ich RKI beauftragt hatte, Ricky zu schützen, hatte ich mir meinen Lover nicht
in einer so praktischen Funktion vorgestellt, und ich hatte zudem die Gefahr
unterschätzt. Hy hatte also allen Grund, sauer zu sein. Aber ich glaubte nicht,
dass das der Grund für seinen Ausbruch eben gewesen war; das hier fühlte sich
nach etwas Grundsätzlicherem an.
    Die
Starker-Mann-versus-starke-Frau-Chose? Dieses Problem hatte ich vor Jahren mit
einem Lieutenant der Mordkommission gehabt, mit dem ich zusammen gewesen war.
Aber Hy mochte starke Frauen; er genoss meine Unabhängigkeit so wie ich seine.
Wenn wir zusammen arbeiteten, dann als Team, wo jeder den anderen unterstützte,
wenn es nötig war. Woher also dieser Zorn? Und warum konnte ich nicht
entschlüsseln, was in ihm vorging, wie sonst fast immer?
    Während der Zug beschleunigte,
fragte ich mich, ob ich meinen Liebsten vielleicht doch nicht so gut kannte,
wie ich geglaubt hatte.
    Na ja, sagte ich mir, damit
konnte ich mich jetzt nicht befassen. Jetzt gab es dringendere Aufgaben —
zuallererst, Ricky zu finden und sicherzustellen, dass er okay war. Ich drückte
mich von der Wand ab, stieg die Treppe hinauf und ging durch die Tür zum
Salonwagen.
    Der war grau, mit
Modul-Sitzgruppen vor großen Fenstern, die jetzt wie schwarze Spiegel das
Party-Gewimmel reflektierten. Leger gekleidete Menschen — viele im Midnight
Train- T-Shirt — aßen, tranken und redeten; die meisten standen, einige
lehnten an den Tischen und Sesseln, manche saßen. In der Mitte des Waggons war
eine Bar aufgebaut, flankiert von zwei Büfetts. Marihuana-Duft hing in der
klimaanlagengefilterten Luft. Ich sah Forrest Curtin mit einer jungen Frau im
Western-Outfit plaudern; der Bassist schien wieder auf Koks zu sein. Norm
O’Dell und Jerry Jackson lümmelten in Sesseln und füllten sich mit Bier ab.
Kurt Girdwood stand am anderen Ende des Wagens, im intensiven Gespräch mit
Linda Toole; ab und zu strich sich der Manager mit der Hand über den Kugelkopf,
und die PR-Managerin reagierte, indem sie sich mit den Fingern durchs
Stachelhaar fuhr. Pete Sherman lehnte allein an einem Fenster, blass und
nachdenklich, wie ich seinem Spiegelbild entnehmen konnte, in Gedanken
vermutlich zu Hause. Schließlich entdeckte ich Ricky, umringt von Medienleuten.
Hy und ein Bodyguard standen dicht daneben.
    Mein Schwager schien entspannt
und gut gelaunt. Er lächelte über etwas, was eine große, dunkelhaarige Frau zu
ihm sagte, kippte die Hälfte eines Drinks, der nach Whiskey pur aussah und
lachte schallend über eine Bemerkung eines dicklichen Mannes in Shorts. Nur wer
ihn so gut kannte wie ich, sah die Anspannung in seiner Kopf- und
Schulterhaltung, in der Art, wie seine Finger mit dem Glas spielten. Sein Blick
glitt von den Menschen, die ihn umgaben, zu seinem Spiegelbild in der Scheibe,
und seine Augen wurden traurig und leer.
    Dieser Zug nach nirgendwo ist
so trostlos, kalt und leer, und der Typ da in der dunklen Fensterscheibe — wer ist der?
    Die Liedzeilen, die mir — und
wahrscheinlich auch ihm — durch den Kopf gingen, machten mich frösteln. Ich
zwängte mich durch das Gedränge zu ihm.
    »Shar! Du hast es

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