Das gebrochene Versprechen
Büro kommen und von Sharon mit einem Blick bedacht werden, als wäre ich
irgendein klebriger Dreck, den sie gerade von ihrem Schuh gekratzt hatte. Ich
stelle mir vor, wie Mick wüten und mir dann die eiskalte Schulter zeigen würde,
wenn er dahinter käme, dass ich mit seinem Vater geschlafen hatte. Und Ricky...
das Letzte, was er brauchen konnte, während er seine Ehe zu retten versuchte,
war die Gewissenslast eines One-night-stand mit der Freundin und Angestellten
seiner Schwägerin.
Er
fuhr fort: »Hör zu, ich weiß nicht genau, was mich zu Hause erwartet, aber ich
fürchte, es wird grässlich. Kann ich dich anrufen, wenn ich noch weiter reden
will?«
»Klar.«
»Du
bist bei Shar?«
»Ich
packe nur ein paar Sachen zusammen und fahre dann sofort hin.«
»Soll
ich mit reinkommen, mich vergewissern, dass alles okay ist?«
»Nein.
Ich hatte hier noch nie irgendwelche Probleme. Du bist todmüde, und der Fahrer ist
vermutlich sowieso schon sauer, dass er so lange Dienst schieben musste. Fahr
ins Hotel und schlaf dich aus.«
»Kann
nicht behaupten, dass ich das nicht brauchen könnte.« Er küsste mich auf die
Stirn, joggte die Stufen hinunter und winkte mir nochmal zu, als er in die
Limousine stieg.
Ich
ging rein, ehe ich ihm nachrufen konnte, er solle doch bitte bleiben.
In
meinem Dachzimmer schnappte ich mir eine Einkaufstasche und stopfte Sachen
hinein. Ein T-Shirt zum Schlafen, Unterwäsche, saubere Jeans, Hemd. Schuhe. Ich
brauchte Schuhe. Ich war immer noch barfuß, und meine Tennisschuhe waren in der
anderen Limousine. Ich hoffte zu Gott, dass jemand sie bemerkt und geborgen
hatte, auch wenn sie im Price Club nur zwanzig Dollar gekostet hatten.
Was
hatte ich mir bloß dabei gedacht, barfuß mit einem Security-Mann auf einem
Golf-Cart davonzufahren? Was in aller Welt hatte mich dazu getrieben, mich
einem Mann an den Hals zu werfen, den ich kaum kannte? Der Champagner
natürlich. Schuld war der Champagner. Und der Schmerz in Rickys Stimme, als er
»The House Where Love Once Lived« Charly gewidmet hatte. Einem leidenden Mann
hatte ich noch nie widerstehen können.
Noch
was, was ich einpacken musste? Ich guckte mich um und sah den
Voice-Control-Kassettenrecorder, auf den ich immer meine Tagebuchnotizen
spreche, die eigentlich eher so was wie Geschichten sind, mit mir als
Hauptperson. Den nahm ich wohl besser auch mit. Dieser Abend würde eine tolle
Story abgeben: »Wie ich die große Liebe fand — und eine Stunde später wegschmiss.«
Sieh
dem ins Auge, Rae, dein Leben ist kein Stoff für eine Bumsschmonzette. Die
Heldin einer dieser Sagas hätte keine Sekunde dran gedacht, die Bremse zu
ziehen. Wenn Fiction das Produkt der Lebenserfahrung des Autors ist, dann
solltest du’s mal mit Seifenopernskripts versuchen.
Ich
packte den Recorder dennoch in die Tasche und machte mich auf den Weg runter in
das Bad im zweiten Stock, um meinen restlichen Krempel zu holen. Die Birne der
Treppenbeleuchtung war durchgebrannt. Das tat sie immer — noch so eine
Eigenheit dieses Hauses, die ich nicht vermissen würde. Wenn ich nachts
aufwachte und pinkeln musste, standen die Chancen jedesmal fifty-fifty, dass
ich mir auf dem Weg nach unten den Hals brechen würde.
Ich
arbeitete mich voran, indem ich mit den Zehen die Stufenkanten ertastete und
mich am wackligen Geländer festklammerte. Kühle Luft wehte mir entgegen.
Komisch. Da musste irgendwo ein Fenster offen sein. Dann hörte ich unten ein
leises Geräusch. Ich blieb stehen und horchte. Nichts. Vermutlich nur Einbildung.
Oder einer der verbliebenen Partner, der etwas Vergessenes holen wollte.
Um
vier Uhr morgens? Das glaubst du doch selbst nicht.
Ich
wartete. Noch immer nichts zu hören, aber weiterhin der kühle Luftzug. Ich
hielt den Atem an, stand ganz still, spitzte die Ohren. Hätte ich doch nur
Ricky mit reinkommen lassen. Die Versuchung, die das bedeutet hätte, war
nichts, verglichen mit der Gruselatmosphäre dieses leeren, alten Hauses.
Das
war’s! Nur das Haus, das arbeitete.
Ich
setzte mich wieder in Bewegung.
Und
da kam es auf mich zu. Die Treppe herauf. Ein großes Etwas, schwärzer als das
Dunkel um mich herum. Ich schrie — was, weiß ich nicht. Ich ließ die Tasche
fallen, drehte um, krabbelte wieder hinauf.
Der
Dachboden! Der Teil, wo das ganze ausrangierte Zeug lagerte.
Da
konnte ich mich verstecken —
Eine
Hand packte meinen rechten Fuß, und ich schlug hin, krachte mit dem Kinn auf
eine Stufe. Eine zweite Hand packte den Bund meiner
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