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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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Blatt mit dem Aufmacher hatte Ivor sich gekauft, nachdem er seinen Wagen auf dem Marktplatz von Morningford geparkt hatte. Er sah die Schlagzeile, das Foto von Hebe, und er las die erste Zeile, dann kam sein Wahlkampfmanager die Treppe herunter, um ihn zu begrüßen, und es gab ein Spießrutenlaufen durch die Menschenmenge, die sich zu seiner Sprechstunde eingefunden hatte.
    Vermutlich hatten Gerry und auch seine Frau Pandora sich geweigert, mit der Presse zu sprechen. Als ich den Artikel las, konnte ich – ganz sentimentaler Vater! – nur hoffen, dass Hebes Sohn Justin zu jung war, um etwas von all dem zu verstehen, und dass niemand ihn aufklären würde.
    Ivor kehrte nach Ramburgh House zurück. Abends und am Sonntag hatte er keine Verpflichtungen vor Ort, er konnte also Sonntag frühzeitig nach London zurückfahren. Inzwischen hatte er das Interview mit der ungenannt bleibenden Frau zweimal gelesen – in seinem Wagen sitzend, in der Einfahrt zu einem Gehöft auf einem stillen Landweg. Es bestand zum großen Teil aus Unwahrheiten oder Halbwahrheiten. Die namenlose Frau erzählte von Hebes Promiskuität und dass sie das Geld ihres hart arbeitenden Ehemannes für »andere Männer« ausgegeben habe. Ihr Kind habe sie vernachlässigt, um sich »zwei- oder dreimal in der Woche« mit ihrem Lover zu treffen, sie sei oft erst »in den frühen Morgenstunden« heimgekommen. Er habe ihr eine Perlenkette im Wert von siebentausend Pfund geschenkt, und ihrem Mann habe sie weisgemacht, die Kette sei aus dem Kaufhaus. Ivors Name wurde nicht genannt – die anonyme Frau kannte ihn nicht –, es hieß nur, Hebes Lover sei »ein wichtiger Mann in der Regierung«, was damals so nicht stimmte. Ivor las das Interview ein drittes Mal. Als er wieder an die Stelle kam, wo davon die Rede war, wie oft er sich angeblich mit Hebe getroffen hatte, sagte er laut: »Schön wär’s!«
    Es war ein klarer, sonniger Tag, warm für Oktober. Sein Blick ging über die noch ungepflügten Felder, auf denen weiß die Kamille blühte, wo vorher Gerste gestanden hatte. Ich schreibe das nicht, um meinen Bericht auszuschmücken. Ivor selbst hat es uns später so geschildert.
    Er zeigte den Artikel weder Juliet noch seiner Mutter. Als englischer Gentleman der alten Schule – wenn auch mit etwas ausgefallenen Neigungen – war es für ihn selbstverständlich, Unangenehmes nach Möglichkeit von Frauen fernzuhalten. Natürlich mussten sie es erfahren, und zwar bald, aber noch nicht jetzt, nicht an diesem herrlichen Tag. Er aß mit seiner Mutter und Juliet zu Mittag und hielt sich bis zum Abend mit dem Trinken zurück. Er machte mit Juliet einen Spaziergang durch die Anlagen von Ramburgh House, über die Felder zum Fluss und zurück durchs Dorf. Ich kenne den Weg gut, Iris und ich sind ihn viele Male gegangen.
    Als er dann abends Vorbereitungen für die Fahrt in die Stadt traf, muss er in den Raum neben der Stiefelkammer gegangen sein und das geholt haben, was er am nächsten Morgen nach London mitnahm.
     
    Während Ivor auf dem Weg von Morningford nach London war, fand Sheila Atherton, Janes Mutter, in der Wohnung ihrer Tochter Janes Tagebuch unter den Dielen. Ich weiß, dass es exakt dieser Zeitpunkt oder zumindest exakt dieser Vormittag gewesen sein muss, denn sie vermerkte Datum und Uhrzeit ihrer Entdeckung auf der Kopie, die sie Juliet schickte. Sie war in der Einzimmerwohnung herumgegangen, als sie an einer Stelle ein Dielenbrett knarren hörte. Janes Wohnung hatte keinen Teppichboden, sondern war mit losen Läufern belegt. Unter dem knarrenden Dielenbrett fand sie die zusammengehefteten Seiten im A4-Format.
    Die Presse hätte sich bestimmt um das Tagebuch gerissen, wenn sie davon gewusst hätte, aber sie hat es nicht in die Hände bekommen. Sheila Atherton hat es der Polizei übergeben, allerdings erst nach einiger Zeit. Schließlich war Janes Mörder in Haft, und zwar aufgrund der Informationen, die Mrs. Atherton selbst der Polizei gegeben hatte, Informationen über Sean und dessen Angriff auf ihre Tochter, die sie wiederum von Jane hatte. Warum sie die Kopie nicht an Ivor, sondern an Juliet geschickt hat? Aus Bosheit? Aus Rache? Ich weiß es nicht. Aus Janes Aufzeichnungen geht hervor, wie sehr sie Ivor hasste und verachtete, abgesehen davon aber warfen sie Licht auf so manchen dunklen Winkel dieser Geschichte. Weil Mrs. Atherton das Tagebuch an Juliet geschickt hat, konnte ich es in meinen Bericht aufnehmen, nachdem ich mir von Mrs. Atherton als

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