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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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Kuwait zu seiner neunzehnten Provinz erklärte.
    Nun hätte man denken können, diese brisante Situation sei von so viel größerer Tragweite als sein persönliches Problem, dass ihm dieses als klein und belanglos hätte erscheinen müssen, doch so sind wir Menschen eben nicht. Das, was uns unmittelbar angeht, was sich auf unseren Stolz und unseren Ruf auswirkt und auf den Eindruck, den andere von uns haben, ist uns immer wichtiger als alles andere.
    Einerlei, welche Entscheidungen er traf, einerlei, wie oft und wie weit er reiste – seine Ängste reisten mit. An erster Stelle stand dabei Dermot Lynch. An den Wochenenden, die er nicht in Westminster oder im Nahen Osten, sondern in Morningford verbrachte, fand er immer eine Stunde Zeit für einen Besuch in Monks Cravery. Er kam, denke ich, um sich auszusprechen. Wir waren die Einzigen, mit denen er reden konnte. Nicola Ross wusste, dass er eine Freundin gehabt hatte, über die er nie sprach, und dass er Lloyd Freeman gekannt hatte, und Hebes namenlose Freundin, die ›Alibi-Lady‹, wusste etwas mehr als das. Doch nur wir kannten die Geschichte von A bis Z. Das ganze traurige Schlamassel, wie er es ausdrückte.
    Von Dermot hörte man nichts mehr. Die Presse hatte ihn nur in den ersten Wochen nach dem Unfall erwähnt, danach sank sein Nachrichtenwert rapide. Und außerdem: Sollte er wieder ganz gesund werden und ihm dann eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung ins Haus stehen, konnte ein Journalist sich bei einem anhängigen Verfahren nicht die Finger verbrennen.
    Ivor wusste, dass das, was ihn bedrückte, nicht das war, was ihn eigentlich hätte bedrücken müssen, nämlich der Tod von Hebe und von Lloyd Freeman, aber an beide dachte er kaum einmal. Auch ob Dermot der Unfallverursacher gewesen war oder nicht, kümmerte ihn wenig. Seine große Angst war, der Mann könne wieder zu sich kommen und bei der Polizei auspacken. Oder bei der Presse oder sonst wo. »Es war keine richtige Entführung«, hörte er ihn sagen. »Dieser Ivor Tesham, der im Unterhaus sitzt, hat die Sache eingefädelt, als eine Art Spaß. Hebe Furnal war seine Freundin, wir sollten sie entführen, fesseln und knebeln und ihm so ins Haus liefern. Wie ein Postpaket.«
    Auch der Fund der Pistole ging Ivor nach. Die Handschellen, die Skimasken, der Knebel, das Auto mit den geschwärzten Scheiben – all das gehörte zu seinem Szenario. Eine Schusswaffe war nicht vorgesehen. Dermot oder Lloyd musste sie als unentbehrliches Requisit in ihrer von Hollywood inspirierten Vorstellung eines Kidnapping mitgenommen haben. Die Pistole war ein ernstes Problem. Bei dem Gedanken, man könnte sie mit ihm in Verbindung bringen, überlief es Ivor kalt, ich sah ihn regelrecht frösteln, während er in unserem Cottage vor dem Holzfeuer saß, denn es war schon herbstlich kühl.
    »Dieser Dermot Lynch verfolgt mich«, sagte er. »Ich träume von ihm, sehe ihn in seinem Krankenhausbett, er bewegt die Hand und schlägt die Augen auf. Dann macht er den Mund auf und nennt meinen Namen. Seine Mutter ist bei ihm und sagt, sie hat ihn nicht verstanden, da wiederholt er ihn. Es ist seine Mutter, wie sie leibt und lebt, in ihrer Kittelschürze und den Hausschuhen. Sie sitzt da und hält seine Hand, und er kann die Hand bewegen, und sie ist glücklich.«
    »Du brauchst einen Drink«, stellte ich fest und wollte ihm einen holen, aber er lehnte ab, er müsse noch fahren – den Dienstwagen mit Fahrer durfte er für seine Wahlkreisarbeit nicht benutzen. Um sieben müsse er wieder in Morningford sein. »Dass sie mich wegen überhöhter Geschwindigkeit rankriegen, fehlte mir noch zu meinem Glück«, sagte er.
    »Woher weißt du, dass seine Mutter eine Kittelschürze und Hausschuhe trägt?«, fragte Iris. »Ich denke, du kennst sie nicht.«
    Es gab eine kleine Pause, dann rückte er damit heraus. Ständig hatte er an Dermot Lynch denken müssen, bis er es nicht mehr ausgehalten und beschlossen hatte, etwas zu unternehmen. Er war mit der U-Bahn bis Paddington gefahren, hatte dort aber gemerkt, dass er, wenn er zum William Cross Court am Rowley Place wollte, besser an der Haltestelle Warwick Avenue ausgestiegen wäre. Mit dem London A-Z in der Hand überquerte er die von Brunei erbaute Royal Albert Bridge. Eine Passage unter dem Westway brachte ihn zu den großbürgerlichen Straßen von Little Venice und Maida Vale. William Cross Court, um 1970 errichtet und zwischen vornehme Villen gezwängt, war ein großflächiger Block senffarbener

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