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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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getrunken. Ich werde ihm eine Tasse Tee machen.
    Ich hatte nicht nur in der Getränkefrage kalte Füße gekriegt, sondern jetzt auch Bedenken wegen meiner Wohnung. Ich glaube kaum, dass er in so einer schon mal war. Sie besteht aus einem Wohnschlafzimmer, das an einem Ende zur Küche wird und nur eine Tür hat (abgesehen von der Wohnungstür), und die führt ins Bad. Der Tisch ist noch von meiner Großmutter aus dem Altersheim, er ist bestimmt nicht die Sorte Großmutter-Tisch, wie Ivor Tesham sie aus seiner Familie kennt, bei denen ist es Chippendale – oder hat der nur Stühle gemacht? Ich habe auch Sessel, sogenannte Kaminsessel mit durchhängenden braunen Sitzen und hölzernen Armlehnen, und einen Teppich, den meine Mutter mal gegen ihre Depressionen in der Therapie geknüpft hat. Mein Bett kann ich in ein Sofa verwandeln, aber das mache ich nur, wenn Besuch kommt, denn der Umbau ist eine anstrengende Angelegenheit. Ich habe es zusammengeklappt, wenn Hebe kam, und seit ihrem Tod nie mehr. Da Ivor Tesham statt geistiger Getränke Tee kriegen soll, könnte ich ihm eigentlich auch das ungemachte Bett zumuten, aber er würde es wohl als Einladung auffassen, also mühte ich mich mit Scharnieren und knarzendem Gestänge ab, bis das Sofa stand, verteilte malerisch ein paar Kissen darauf und rieb mir den Rücken.
    Inzwischen hatte ich mir zurechtgelegt, was ich zu ihm sagen würde. Ich fand es irgendwie witzig, dass Hebes Schmuck, der billige ebenso wie Ivors Geschenk, die Perlen, in der Küchenschublade lag, zusammen mit den Gebrauchsanweisungen für meinen winzigen Kühlschrank, den Mini-Backofen und den kleinen Wasserkocher. Ob ich ihn bitten sollte zu bestätigen, dass er mir die Perlen geschenkt hat, wenn ein Juwelier anruft und ihn danach fragt?
    Aber da wusste ich schon, dass ich so eine Bitte nicht rausbringen würde, denn plötzlich hatte mich große Scheu erfasst, nein, mehr als Scheu – Angst, echte Angst. In einer Dreiviertelstunde würde er kommen, und obwohl ich mir vorgenommen hatte, keine besondere Mühe auf mein Äußeres zu verwenden und nichts mehr an der Wohnung zu machen – an der hatte ich schon genug gemacht –, ging ich ins Badezimmer, duschte, wusch mir die Haare, föhnte sie gründlich, sprühte mich mit dem letzten Rest Parfüm ein und zog das einzige Kleid an, das ich besitze, dazu Strumpfhosen und die Schuhe mit den höchsten Absätzen, die ich habe und die leider nicht sehr hoch sind. Spontan legte ich mir die Perlenkette um den Hals, nahm sie aber schnell wieder ab. Hebe hatte mir immer allerlei Make-up-Tricks beibringen wollen, aber ich hatte nie richtig aufgepasst, und wenn ich jetzt versuchte, was Besonderes mit meinen Augen zu machen, ging es bestimmt schief, und ich musste alles wieder abwischen. Schließlich begnügte ich mich mit einem Hauch Puder und zog sorgfältig die Lippen nach.
    Er musste jeden Augenblick kommen, er würde bestimmt pünktlich sein, das gehörte sich so bei seinem Job und dem Leben, das er führte. Tatsächlich: Als die grünen Zahlen der Uhr an der Mikrowelle von 19.29 auf 19.30 sprangen, klingelte es unten. Ich drückte auf den Türöffner und hörte das Summen. Eine große Ruhe hatte mich erfasst und ein Gefühl, dass nichts mehr wirklich wichtig war.
    Das Foto in Dod’s ist sehr ähnlich. Ein gut aussehender Typ, wenn man diese scharf geschnittenen, regelmäßigen Züge mag, den schmalen Mund, die Adlernase. Was er von mir dachte oder ob er sich überhaupt was dachte, war ihm nicht anzusehen. Er sagte »Guten Abend« und sprach mich immer wieder mit »Miss Atherton« an, was ganz ungewohnt war. Er sah sehr elegant aus in dem dunklen Anzug mit weißem Hemd, kam wohl direkt aus dem Unterhaus. Natürlich konnte keine Rede davon sein, dass er mich verächtlich oder belustigt von oben bis unten gemustert hätte. Wie bin ich bloß darauf gekommen, dass er sich so aufführen würde? In Romanen liest man manchmal von Gedanken, die sich jemandem »aufdrängen«, und jetzt ging es mir tatsächlich so: Unwillkürlich überlegte ich, wie man sich wohl als Frau mit einem ständigen Begleiter fühlt, der aussieht und spricht wie er.
    Ich bot ihm einen der »Kaminsessel« an und Tee. Auch mit meiner Vermutung, er würde sich einigermaßen fassungslos oder geringschätzig in meiner Wohnung umsehen, lag ich falsch. Er nahm das alles zur Kenntnis, ohne mit der Wimper zu zucken, nur den Tee wollte er nicht. »Sehr liebenswürdig, aber vielen Dank.« Plötzlich hatte ich

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