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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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habe es in seinem Büro gelesen, erzählte er, nachdem wir uns begrüßt hatten. Die Morgenzeitungen lagen dort immer auf einem Tisch bereit, der Evening Standard kam gegen Mittag. Meist hatte Ivor keine Zeit, zum Essen das Amt zu verlassen. An einen gemächlichen Lunch außer Haus war mittlerweile nicht mehr zu denken. Man brachte ihm einen Imbiss – eine Flasche Mineralwasser und zwei Sandwiches. Einmal machte er den Fehler, ein Sandwich Emma anzubieten. »O nein, danke, Herr Minister«, sagte sie schockiert.
    Der Standard kam. Ivor biss in sein Sandwich, erhob sich, um den Aufmacher zu lesen, irgendetwas über die Premierministerin und Geoffrey Howe, und danach einen Bericht über einen Vergewaltigungsprozess. Darunter, am Fuß der ersten Seite, stand eine Meldung mit der Überschrift: »Londoner im Mordfall Caxton verhört«. Er habe sich an die Tischkante geklammert, sagte Ivor, um nicht hinzufallen. Zum ersten Mal in seinem Leben habe sich alles um ihn gedreht, und warum er nicht aufgeschrien habe, wisse er selbst nicht – wahrscheinlich nur aus Angst, dass dann Emma und sein ganzer Stab hereingestürzt wären.
    »Ich habe mich gezwungen, die Meldung noch einmal zu lesen«, sagte er, »auch wenn ich am liebsten das ganze Blatt sofort im Papierkorb versenkt hätte. Aber auch beim zweiten Lesen wurde ich nicht schlauer. Ein gewisser Sean Brendan Lynch hatte auf einem Polizeirevier Fragen beantworten, sich einem Verhör unterziehen müssen. Offenbar weil man ihn für ein Mitglied DER IRA hielt und er etwas getan hatte oder an etwas beteiligt gewesen war, was den Verdacht nahelegte, er könne bei dem Anschlag auf Sandy die Hand im Spiel gehabt haben.«
    »Und das ist der Bruder von Dermot Lynch?«
    »Ebender. Schlimm genug, wenn herauskäme, dass ich Dermot und Lloyd Freeman den Auftrag gegeben habe, Hebe zu schnappen, aber wenn man erfahren würde, dass ich Kontakt zu dem Bruder eines BEKANNTEN IRA-Mitglieds und Sandys Mörder hatte …“
    Für die Konservative Partei, sagte Ivor, sei DIE IRA der Staatsfeind Nummer eins, besonders seit dem brutalen Bombenanschlag in Brighton. Wenn jemand ihn mit Sean Lynch in Verbindung brächte, wären die Folgen katastrophal.
    »Oder mit irgendeinem Mitglied der Familie«, sagte ich.
    »Ja, ich weiß.«
    »Dann vergiss es bitte nicht, Ivor. Letzte Woche hast du uns von dem Besuch in dem Haus erzählt, in dem die Lynchs wohnen, und von deinen Träumen.«
    Er trank einen großen Schluck Merlot, was für Minister, die womöglich wenig später das Wort ergreifen müssen, vielleicht auch nicht ganz in Ordnung ist. »Das waren Träume. Ich werde von jetzt ab einen großen Bogen um die Lynchs machen und mein Los schweigend tragen.«
    Er lachte bitter auf. Ein paar Leute drehten sich um, und eine Frau zog lächelnd die Augenbrauen hoch.
    Wenig später läutete die Abstimmungsglocke. Er leerte sein Glas. »Komisch«, sagte er, »aber das werde ich nie vergessen – wie es zur Abstimmung läutete, als ich Hebe gerade kennengelernt hatte, und wie ich mir dauernd ihre Telefonnummer vorgesagt habe, während ich zur Abstimmung lief, und sie hinterher auf dem erstbesten Zettel notiert habe.« Er stieß einen Seufzer aus, in dem sich Zorn und Verzweiflung mischten. »Keine Angst, Rob, ich werde keine Dummheiten machen«, sagte er und verschwand.
    Vieles hat er mir an jenem Abend verschwiegen. Da war er schon ein zweites Mal in William Cross Court gewesen und war noch tiefer in besagtes Schlamassel geraten. Aber das erfuhr ich erst Wochen danach.
    Er hatte versprochen, einen großen Bogen um die Lynchs zu machen. Möglicherweise hatte er das nur so gemeint, dass er nicht mit Sean Lynch sprechen würde, was, solange dieser in Polizeigewahrsam war, ja ohnehin kaum möglich gewesen war. Sein Versprechen hat er trotzdem gebrochen.
    Während der Sitzungsperiode des Parlaments war ein neuerlicher Besuch in William Cross Court nahezu unmöglich. Von einem Minister oder auch nur einem Staatssekretär erwartet man, dass er an den zahllosen Sitzungen teilnimmt, mit seinen Anhängern plaudert, sich nach neuem Klatsch umhört und gegen Abend zum Abstimmen geht. Er kann sich nicht, wie ein Freiberufler, hier und da zwei Stunden freinehmen. In jenem Herbst aber nahm Ivor an einer Tagung in Brighton teil – nicht am Parteitag der Konservativen, der hatte zuvor in Bournemouth stattgefunden, sondern an einer Konferenz, bei der es um Flugzeugproduktion und Flugzeugtechnik ging. Als Mitglied einer

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