Das Geburtstagsgeschenk
Familie zu machen.«
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Mein Scrapbook habe ich, seit Hebe tot ist. Es ist so was wie eine Ergänzung zu dem Tagebuch, das genau genommen kein Buch ist, und ich habe es in die Irving Road mitgenommen. Ich sammle alles, was mit Ivor Tesham zu tun hat, auch allerlei am Rande, Fotos von dem Unfall zum Beispiel und von den Beteiligten. Mich um Justin zu kümmern und abends für Gerry was zu kochen, das reicht mir nicht. Ich brauche ein Hobby, und Zeitungsausschnitte über Promis ganz allgemein zu sammeln fände ich uninteressant, von denen gibt es zu viele, früher oder später würde ich mir die Rosinen rauspicken und anderes ausrangieren müssen. Tesham ist ideal – bekannt genug, um alle zwei oder drei Wochen in die Zeitung zu kommen, aber nicht öfter, und mit Foto noch seltener. Ich beschränke mich beim Sammeln auf den Guardian, der täglich ins Haus kommt, und den Evening Standard, den Gerry mitbringt und den ich, wenn er ihn ausgelesen hat, mit auf mein Zimmer nehme.
Von dem Sammelalbum weiß niemand – na ja, wen kenne ich auch schon? Nur Gerry und meine Mutter und die anderen, Grania und Lucy und Wendy. Und Gerrys Mutter natürlich und meine Mieterin, Pandora Flint. Eigentlich ist das eine ganz respektable Liste, aber richtige Freunde sind das nicht. Bei Gerry hatte ich mir da ja mal Hoffnungen gemacht, hatte gedacht, dass wir uns im Lauf der Zeit vielleicht näherkommen, aber der Zug ist wohl endgültig abgefahren. Dabei hatte sich die Sache ganz gut angelassen. Damals, als er mit mir über Hebe gesprochen und mir erzählt hat, wie sehr er sie vermisst und wie wunderbar sie war, und als ich zugehört und ja und nein und natürlich gesagt habe. Aber das ging nicht lange. Ein paar Monate, dann war Schluss. Statt über was anderes zu sprechen, spricht er jetzt überhaupt nicht mehr mit mir. Das hat auch damit zu tun, dass Justin mittlerweile später schlafen geht. Weil er um sechs noch nicht ins Bett wollte oder quengelte, bis sich jemand zu ihm setzte, lässt Gerry ihn jetzt bis acht aufbleiben. Ich finde das nicht richtig, Kinder brauchen ihren Schlaf und Erwachsene ihre Ruhe. Gerry sagt, dass er nie dazu kommt, sich mit seinem Sohn zu unterhalten, wenn er ihn nicht länger aufbleiben lässt, und schließlich und endlich ist er der Boss und hat das Sagen. Ich rede nicht mehr so viel über Callum wie früher. Vielleicht glaubt Gerry nicht mehr an ihn. Ein richtiger Freund würde mal anrufen oder mich abholen. Und bei einem erfundenen Freund kommt noch ein Problem hinzu: Wenn man nicht komplett verrückt ist, weiß man, dass er erfunden ist, man verliert das Interesse an ihm, vergisst, von ihm zu erzählen, und – schlimmer noch – vergisst, was man schon von ihm erzählt hat. Als ich sagte, dass Callum einunddreißig ist, hat Gerry ganz komisch geguckt, und da ist mir aufgefallen, dass ich ihn letztes Jahr ein Jahr jünger gemacht hatte. Und als ich sagte, dass er in Kensington wohnt, hat er gefragt, ob ich mir da ganz sicher sei.
Aber zurück zu dem Scrapbook und Ivor Tesham. Oder zu Ivor Tesham. Das Scrapbook ist gut aufgehoben, in einer Kassette mit Schloss in meinem winzigen Zimmer, und es ist eigentlich gar nicht besonders interessant – das politische Leben eines Mannes, im Journalistenjargon geschrieben, und dazu Fotos. Aber auch was über sein Privatleben. Ich habe mehrere Fotos von ihm mit seiner neuen Liebe, dieser vollbusigen Freundin, die sich mit dem Namen Juliet Case schmückt und sich Schauspielerin nennt, aber worin sie gespielt hat, ist mir und wahrscheinlich allen anderen ein Rätsel. Tesham hat nicht lange gewartet. Er ist Hebes Erinnerung nur ein paar Monate treu geblieben. Ich frage mich manchmal – nein, ich frage mich oft was Gerry denken würde, wenn er wüsste, dass es da einen Mann gibt, der auch in London wohnt, allerdings in einer anderen Gegend und nicht in so einer Bruchbude, der Hebes Liebhaber war und sie nach ihrem Tod ganz schnell vergessen hat.
Juliet Case ist anders. Anders als Hebe, meine ich. Eins muss man Hebe lassen: Sie war eine schöne Frau, schlank und ätherisch zart, hold wie eine Lilie (sagt Gerry), während die Neue immer aussieht, als wenn sie mit einer Rose zwischen den Zähnen zum Stierkampf will. Carmen in Person. Wie viel mag sie über jenen Freitagabend, über den Unfall wissen? Ich denke oft darüber nach, manchmal so lange, bis ich ganz dumm im Kopf bin. Die Zeitungsausschnitte, die das halbe Scrapbook füllen, haben mich ein Stück
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