Das Geburtstagsgeschenk
Schwägerin hätte. Frag mich nicht, warum – aber ich glaube, Juliet würde ihn betrügen.«
»Und er sie«, sagte ich, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ivor es – verheiratet oder nicht – bei einer einzigen Frau lange aushalten würde.
Auf den ersten Blick war vieles in Vergessenheit geraten. Nur wenn wir – was selten vorkam – mit Ivor allein waren, äußerte er sich hin und wieder kurz zu dem Unfall oder erwähnte sogar Hebe in reuigem Ton. Auch der tote Lloyd kam zu seinem Recht, so sprach Ivor von jener Party bei Nicola Ross, wo er Juliet zum ersten Mal gesehen hatte, und behauptete, es täte ihm jetzt leid, Lloyd für sein Entführungsszenario eingespannt zu haben, Lloyd sei ein so vielversprechender Schauspieler gewesen und so jung, schade um dieses Talent, um dieses Leben. Von Gerry Furnal und Hebes Kind sprach er nie, es war, als hätte es die beiden für ihn nie gegeben. Auch die ›Alibi-Lady‹ schien er aus seinem Gedächtnis getilgt zu haben. Seine Angst vor der Familie Lynch, sein Horror vor Sean Lynch und der ganz unverhohlene Wunsch, Dermot möge sterben – all das war verflogen, als sei es nie geschehen. Den Gedanken, die Familie wegen Dermots Behinderung mit einer Entschädigung zu bedenken, hatte er offenbar ebenfalls fallen lassen. So schien es in jenem Sommer und Herbst.
Iris und ich hatten uns inzwischen entschlossen umzuziehen. Das Haus in Hampstead, Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern, war zu klein für ein Ehepaar mit zwei Kindern, von denen jedes ein eigenes Zimmer brauchte. Unser zweites Schlafzimmer war winzig. Mehr als Nadines schmales Bett und Adams Kinderbettchen ließ sich darin nicht unterbringen – kein Kleiderschrank, keine Kommode. Wir hatten das Haus im Sommer zum Verkauf angeboten. An einem Tag im September, dem später so genannten Schwarzen Mittwoch, war die Regierung – Ivors Regierung – genötigt gewesen, mit dem Pfund aus dem Europäischen Währungssystem ( EWS ) auszusteigen. Eine Folge dieser währungspolitischen Turbulenzen war der Zusammenbruch des Wohnungsmarkts. Wie es uns überhaupt gelang, unser Haus loszuschlagen, weiß ich nicht, aber wir hatten Glück – einen Monat später war es verkauft, allerdings bekam ich weniger dafür, als mein Schwiegervater sechs Jahre zuvor bezahlt hatte.
Ivor hatte uns oft dort besucht und häufig auch Juliet mitgebracht. Ich wartete immer auf irgendein Anzeichen dafür, dass ihm die peinliche, ja schmerzliche Erinnerung an jenen Abend nicht entfallen war, an dem er ahnungslos und letztlich vergeblich auf Hebe gewartet hatte – ein unwillkürliches Zucken vielleicht, ein Zaudern, ehe er über die Schwelle trat, ein stummer Blick durchs Wohnzimmer –, aber ich merkte ihm nie etwas an. Er hatte wohl sein Gesicht und seine Augen eisern im Griff, Selbstbeherrschung war eine von Ivors großen Stärken.
Im November zogen wir in das neue Haus im Norden von London, an der Grenze zu Hertfordshire, auf das wir eine unerwartet hohe Hypothek hatten aufnehmen müssen. Ivor mit seinen elitären Ideen und der Vorstellung des englischen Gentlemans, dass man nur in einem mindestens zweihundertjährigen Herrenhaus auf dem Land oder aber mitten in der Stadt leben könne, besah sich unser rotes Backsteinhaus von 1960, unsere Doppelgarage und unseren zweitausend Quadratmeter großen Garten und befand dann nachsichtig: »Genau das Richtige, wenn man Kinder hat.« Mir fiel eine Geschichte ein, die mir ein befreundeter Banker erzählt hatte. Ein gewisser Jonathan hatte ein Haus in South Kensington gekauft und zeigte es seinem Vater. Der alte Herr schien davon zunächst durchaus angetan, dann aber sagte er zu Jonathan: »Sehr nett, mein Junge. Und wo wird dein Stadthaus sein?«
Ivor fuhr mit Juliet ein paar Tage nach Nizza. Es war für ihn der erste richtige Urlaub seit fast drei Jahren. Vorher besuchte er an einem Sonntag Erica und die Kinder in Leicestershire und kam auf dem Rückweg bei uns vorbei. Obwohl Juliet alles über den Unfall wusste und ich wusste, dass sie es wusste, war es mir immer peinlich, die Sache und vor allem auch Lloyd in ihrem Beisein zur Sprache zu bringen. An diesem Tag aber hatten wir Ivor für uns. Er erzählte, dass Erica offenbar dabei war, Sandys Verlust zu verwinden, und streifte dabei kurz die neuesten Greueltaten DER IRA. Ich fragte, ob er etwas von den Lynchs und über Dermot Lynch gehört habe.
»Nein, wieso?«, fragte er zurück. »Ihr habt mich doch bekniet, nur ja einen großen Bogen um die
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