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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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weitergebracht, ich lese sie immer wieder und sehe mir die Fotos dazu an. In den ersten Tagen, als die Polizei dachte, die Kidnapper hätten es eigentlich auf Kelly Mason abgesehen, suchte sie nach dem Mann, der hinter der Sache steckte, dem Mann, der das alles organisiert und geplant hat. Später war nicht mehr die Rede von ihm, aber letzte Woche hat ein Artikel den Fall noch mal aufgewärmt, in dem hieß es, dass die Polizei immer noch nach diesem Drahtzieher sucht. Zwei Jahre ist das jetzt schon her, und jetzt suchen sie immer noch.
    Wie der Typ hieß, stand nicht da, aber von Lloyd Freeman war die Rede und von Dermot Lynch und dass der Kraftfahrzeugmechaniker gewesen war und die Autos von Parlamentsabgeordneten gewartet hatte. Ivor Tesham hat außer seinem Dienstfahrzeug auch einen Privatwagen, einen DICKEN BMW . Auf einem der Fotos in meinem Album sieht man, wie er vor seiner Wohnung in Westminster ins Auto steigt. Wenn ich mal davon ausgehe, dass Dermot Lynch auch Ivor Teshams Wagen gewartet hat, was sehr wahrscheinlich ist, und wenn ich von da aus weiterdenke, kriege ich eine richtige Gänsehaut. Das könnte doch bedeuten, dass der Einzige, der sowohl Lloyd Freeman als auch Dermot Lynch kannte, Ivor Tesham war. Und dass er der Drahtzieher war.
    Natürlich weiß ich das nicht bestimmt, aber ist das nicht die einzig mögliche Lösung? Ivor Tesham wollte Hebe nicht mit SEINEM BMW auf dem Watford Way mitnehmen und auch niemand anders mit SEINEM BMW hinschicken, er hat Dermot und Lloyd Geld gegeben, damit sie es mit einem Leihwagen machen, hat sich Hebe in diesem Outfit ins Haus bringen lassen wie eine Lieferung vom Sexversand. So muss es gewesen sein. Deshalb hat er gefragt: »Was gedenken Sie zu unternehmen?« Ich sehe noch die Angst auf seinem Gesicht, ich rieche sie, aber wovor er Angst hatte, weiß ich nicht genau. Vor einem Artikel in der Presse? Kann jemand so sehr auf seinen Ruf bedacht sein, dass er Angst vor ein paar Zeilen in einer Klatschkolumne hat, die ihn lächerlich machen? Er offenbar schon.
    Was aus Dermot Lynch geworden ist, scheint niemand zu wissen. Es heißt, dass bei so einem Fall die Polizei nie aufgibt. In die Medien kommt das nicht, weil stille, beharrliche Arbeit hinter den Kulissen, Sichten und Abwägen, keine Schlagzeilen hergibt. Wenn ich mir in meinem Scrapbook das Foto von Ivor Tesham und dieser Carmen bei der Hochzeit von seinem Freund ansehe oder das, auf dem er strahlend die Faust hochreckt, weil er bei den Parlamentswahlen seinen Sitz verteidigt hat, male ich mir aus, wie ich ins nächstbeste Polizeirevier gehe und ihnen von meiner einzigen Begegnung mit ihm erzähle, bei der er von mir hat wissen wollen, was ich zu unternehmen gedenke.
    Nur ein Foto kommt bestimmt sicher nicht ins Scrapbook, nämlich die Aufnahme, die ich ganz hinten in Hebes Ankleidetisch gefunden habe.
     
    Ohne Fernsehen geht in diesem Haus nichts. Ich mache mir ja nicht viel daraus, hab mir nie viel daraus gemacht, aber Justin liebt es wie alle Kinder, und Gerry guckt zwanghaft in die Glotze. Früher habe ich ihn für einen intelligenten Mann gehalten, musste aber meine Meinung revidieren. Er und Justin sitzen wie festgenagelt auf dem Sofa – ich sitze in einem Sessel – und sehen sich wahllos eine Sendung nach der anderen an. Nein, stimmt nicht ganz. Wenn etwas zu Gruseliges kommt, wie Kämpfe oder Leichen – die haben heutzutage offenbar keine Hemmungen, Tote zu zeigen –, schaltet er nicht ab, sondern zappt zu einem anderen Sender. Als ich Kind war, hieß es treffend: Du wirst noch mal viereckige Augen kriegen vom Fernsehen. Gerry schaltet auf alles, was Justin gern sehen will, die albernsten Zeichentrickfilme oder billige Popmusik, aber wenn ich mir mal erlaube zu bemerken, dass ich gern eine Sendung mit nur andeutungsweise höherem Niveau sehen möchte, sagt er, dass die Justin nicht gefallen würde oder sie für Justin nicht geeignet wäre. Dann würde ich sie mir auf dem Fernseher in der Küche ansehen, habe ich gesagt, und er hat mich – man möchte es nicht für möglich halten – mit keinem Wort zurückgehalten. Meist ist das Ende vom Lied, dass ich nach oben gehe und mich mit dem Scrapbook beschäftige, mir Unterschriften für die Fotos ausdenke und den Leuten, die mit Tesham und dieser Carmen in irgendwelchen Luxusrestaurants abgelichtet sind, Namen gebe.
    Deshalb war ich gar nicht böse, als kürzlich der Fernseher seinen Geist aufgab. Jetzt würden wir, Gerry und ich, abends vernünftige

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