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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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verfügbaren Helfer und suchen Sie das Gelände nordwestlich des Bergwerks ab! Prüfen Sie nach, ob es irgendwo eine Felsspalte gibt, zum Beispiel in einer Steilwand, oder eine trichterförmige Verwerfung im Gelände, eine sogenannte Doline. Fragen Sie Bringshaus, er wird wissen, was ich meine.»
    «Okay, ich werde mein Möglichstes tun.»
    «Danke, Herr Böttcher!» Tia wandte sich ihren Schützlingen zu. «Also gut – machen wir uns auf den Weg!»
    «Wie orientieren wir uns?», fragte Leon. «Nach dem Kompass?»
    «Nein. Ich denke, wir sollten den Pilzranken folgen.»
    Diese Ankündigung durchbrach den Panzer der Teilnahmslosigkeit, mit dem Dana sich umgeben hatte.
    «
Was?
», fuhr sie fassungslos auf. «Ich dachte, Sie bringen uns vor diesem Monster in Sicherheit!»
    Tia wandte sich ihr zu, Dana spürte es am veränderten Klang ihrer Stimme.
    «Vertrauen Sie mir bitte, Dana, und beruhigen Sie sich. Dann kann ich Ihnen meinen Plan erklären.»
    Dana schluckte und bemühte sich, das nervöse Zittern ihrer Stimme zu beherrschen. «Also gut. Sagen Sie mir, warum wir diesem
Ding
folgen sollen, das uns aufzufressen versucht.»
    «Ich erklärte Ihnen bereits, dass Pilze auf Nahrungsquellen zuwachsen. Die Ranken haben sich vermutlich deshalb in diese Nebenhöhle ausgebreitet, weil der Pilz Luft aus der Oberwelt wittert – Luft, die mit organischen Partikeln angereichert ist,zum Beispiel mit Humusstaub und Pollen von Blütenpflanzen. Mit anderen Worten: Der Pilz sucht dasselbe wie wir, nämlich einen Weg nach draußen. Das Gestein kann er nicht durchdringen, daher hat er sich seinen Weg durch Spalten und Hohlräume gebahnt. Wenn es einen Ausgang gibt, wird er uns dorthin führen.»
    «Sind Sie sicher?», fragte Justin skeptisch. «Wenn dieser Pilz einen Weg nach draußen gesucht hat, warum ist er dann nicht den Müllschacht hinauf ins Bergwerk gewachsen?»
    «Offensichtlich, weil er dort keine Nahrungsquelle erspüren konnte. Schließlich war der Zugang zum Bergwerk mit einer Stahltür verschlossen.»
    «Aber das konnte er doch nicht wissen! Können diese Viecher hellsehen, oder haben sie eine Art eingebautes Navigationssystem?»
    «Da liegen Sie gar nicht mal so falsch, Justin. Pilze haben einen erstaunlichen chemischen Ortungssinn. Ich erinnere mich an ein japanisches Laborexperiment, bei dem ein Schleimpilz – ein primitives Wesen, kaum mehr als eine Amöbe – den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden konnte. Dazu war nicht mehr nötig als eine Haferflocke am Ausgang. Wenn diese Wesen eine Nahrungsquelle erreichen wollen und es einen Weg dorthin gibt, dann finden sie ihn auch. Deshalb werden wir dem Verlauf des Myzels folgen. Die Gefahr kann nicht größer sein als bisher, vorausgesetzt, wir bleiben in Bewegung und vermeiden Hautverletzungen.»
    «Dann los!», stimmte Leon zu.
    Dana fühlte, wie Justin ihre Hand fasste und sie mit sanftem Druck vorwärts zog. Doch ihre Füße waren plötzlich wie festgewachsen. Sie konnte sich nicht überwinden, auch nur einen einzigen weiteren Schritt in der vollkommenen Dunkelheit zu machen.
    «Ich kann nicht», flüsterte sie verzweifelt. «Ich
kann
einfach nicht.»
    Sie fühlte, wie Tia an ihre Seite trat und einen Arm um ihre Schultern legte. «Sie
können,
Dana.»
    «Nein, bitte!», flehte Dana. «Bitte lassen Sie uns hierbleiben und auf das Rettungsteam warten.»
    «Wir dürfen uns nicht zu lange am selben Ort aufhalten», beschied Tia streng. «Kommen Sie schon, Dana – setzen Sie einfach einen Fuß vor den anderen.»
    Dana überwand sich, schaudernd und mit heftig pochendem Herzen.
    «Na sehen Sie, es geht doch. Nehmen Sie meine Hand.»
    Dana tat es mechanisch. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als dieser Frau zu vertrauen, deren Gesicht sie noch nie gesehen hatte und die für sie nichts weiter als eine Stimme im Dunkeln war.

••• 00   :   07 ••• BRINGSHAUS •••
    «Hallo?» Böttcher drückte das Funkgerät ans Ohr, doch es war nur noch Rauschen und Knistern zu hören. «Mist. Die Verbindung ist weg.»
    «Was hat sie gesagt?», drang Bringshaus in ihn. Wegen der Störgeräusche hatte er von Tias Antworten nur einzelne Wortfetzen verstanden. Die ganze Zeit über war er drauf und dran gewesen, Böttcher das Funkgerät zu entreißen, um mit seinem Sohn zu sprechen – nun war es zu spät. «Was ist mit dem Ausgang? Glaubt sie, dass   …» Er verstummte, als sich Schritte näherten.
    Im Stollen, der vom Hauptschacht herüberführte, flammten

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