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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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hatte Tia ihre erfolglosen Versuche aufgegeben, die Funkverbindung wiederherzustellen. Stattdessen konzentrierte sie sich gänzlich auf die Erkundung des jeweiligen Streckenabschnitts, tastete die Wände ab und benutzte wie immer die Echomethode, indem sie halblaut mit der Zunge schnalzte. Auf dem Fuß folgte Justin, der sich weisungsgemäß mit einer Hand an ihrem Gürtel festhielt und mit der anderen Dana hinter sich herzog. Leon bildete die Nachhut. Gesprochen wurde kaum. Nur gelegentlich warnte Tia, wenn der Boden sich neigte oder Felsvorsprünge aus der Decke ragten.
    Gegenüber den anderen hatte sie entschlossener argumentiert, als sie es tatsächlich war. In der Tat schien es wahrscheinlich,dass die Ranken des Pilzes zu einem Ausgang aus dem Höhlensystem führten, und die Luftströme ließen hoffen, dass dieser Ausgang nicht sehr weit entfernt lag. Unter der Erde jedoch, das wusste Tia nur zu gut, galt für Entfernungen ein anderes Maß als an der Oberfläche. Hundert Meter Luftlinie, die man sonst in wenigen Minuten überwand, konnten einen stundenlangen Hindernislauf bedeuten, einen ganzen Parcours aus Engpässen, Spalten, Irrwegen und anderen Gefahren. Außerdem befanden sie sich immer noch tief unter der Oberfläche, und es war möglich, dass sie senkrechte Schächte überwinden mussten. Zwar besaßen sie immer noch das Kletterseil, doch für Tias Begleiter, die über keine entsprechende Erfahrung verfügten und zudem nichts sehen konnten, war Klettern praktisch unmöglich.
    Und unbegrenzt Zeit haben wir auch nicht, dachte sie.
    Zehn Grad Umgebungstemperatur waren eine heikle Sache, vor allem, wenn man erschöpft und die Luft sehr feucht war. Wenn sie es nicht innerhalb von sechs bis acht Stunden zur Oberfläche schafften, konnten sie erfrieren. Dana würde die Erste sein.
    Tia hörte den zittrigen Atem des Mädchens hinter sich. Ihre durchnässten Sachen hatte sie in der Höhle zurückgelassen, doch Tias Overall aus warmem Fleece war eigentlich als Überbekleidung gedacht, während Dana ihn notgedrungen auf der nackten Haut trug. Die Decke, die sich das Mädchen über die Schultern geworfen hatte, half auch nur bedingt. Zudem war es nicht möglich gewesen, ihre nassen Schuhe zu ersetzen – und die Schuhe brauchte sie, schon wegen der Pilzranken am Boden, ganz zu schweigen von Geröll oder scharfen Felszacken. Immerhin war ihr Kopf geschützt, denn Tia hatte darauf bestanden, dass das Mädchen ihren Helm trug, während Leon den seinen an Justin weitergegeben hatte.
    Eine halbe Stunde ging dahin. Der Gang führte immer noch stetig geradeaus, wobei nur hier und dort ein seitlicher Spalt abzweigte. Tia vergewisserte sich, dass sie immer noch auf der Fährte des Pilzes war, indem sie alle paar Meter in die Hocke ging, um die Ranken am Boden zu befühlen. Auch an den Wänden schlängelten die Faserbündel sich dahin, jedoch in geringerer Zahl und kaum verzweigt, sodass Tia das Gestein zwischen ihnen tasten konnte. Die Wuchsrichtung des Myzels war eindeutig, und das ermutigte sie.
    Doch ihr Glück hielt nicht lange an. Nach einiger Zeit begann der Boden sich abzusenken, statt wie erhofft anzusteigen, und der Korridor knickte nach links. Tia ortete eine niedrige, sternförmige Kammer mit zahlreichen Abzweigungen in verschiedene Richtungen. Einige waren zu eng, um durchquert zu werden, andere führten so steil aufwärts, dass es unmöglich war, sie zu erklettern. Der Boden neigte sich in einem Winkel von nahezu vierzig Grad, sodass aufrechtes Gehen nicht in Frage kam, zumal die zerklüftete Decke zahlreiche Vorsprünge hatte, an denen man sich den Schädel einrennen konnte.
    «Ab hier müssen wir kriechen», kündigte sie an.
    «Aber dann müssen wir mit den Händen diesen Pilz berühren!», flüsterte Dana entsetzt.
    «Das tue ich schon die ganze Zeit! Er kann Ihnen nichts anhaben, Dana, solange Sie in Bewegung bleiben. Geben Sie mir Ihre Hand, damit wir uns nicht verlieren.»
    Sie fühlte Danas Hand ziellos im Bereich ihrer Hüfte tasten, ergriff sie – und erschrak. Die Finger des Mädchens waren eiskalt.
    Wir müssen eine Pause machen, um sie aufzuwärmen, beschloss Tia. Bei nächster Gelegenheit.
    Vorläufig aber war nicht daran zu denken, bevor sie den Engpass überwunden hatten. Also kroch sie vorwärts, zog Danahinter sich her und tastete mit der freien Hand den Boden ab. Selbst die Pilzranken schienen an dieser kritischen Stelle den richtigen Weg nicht gleich erkannt zu haben: Sie verknäulten sich zu

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