Das Geflecht
betreten. «Ich bin … leider kein Fliegengewicht.»
«Keine Sorge, ich stemme regelmäßig Gewichte», schmunzelte Leon, packte sie und wuchtete sie in die Höhe. «Tasten Sie nach dem Durchgang!»
Doch Dana keuchte erschrocken. «Da ist dieses eklige Pilzzeug! Überall rund um die Öffnung!»
«Es kann Ihnen nichts tun, wenn Sie schnell genug hindurchkriechen!», sagte Tia.
«Na los!», stieß Leon gepresst hervor. «Wenn Sie mir nicht helfen, kann ich Sie nicht mehr lange halten!»
«Gib mir deine Hand!», rief Justin von der anderen Seite. «Ich zieh dich rauf!»
Es dauerte einen Moment, bis Leon aufatmete und endlich loslassen konnte. Doch schon drang ein weiterer Schreckensruf zu ihnen herab.
«Hilfe! Ich stecke fest!»
«Oh nein.» Tia streckte sich und bekam Danas Füße zu fassen. Offensichtlich steckte sie bis zur Hüfte in der Schachtöffnung, kam jedoch nicht weiter. «Ziehen Sie, Justin!»
«Ich versuch’s ja!» Die Antwort klang gedämpft, da der Körper des Mädchens den Durchgang blockierte.
«Heb mich hoch!», wandte sich Tia an Leon. «Ich muss ihr helfen. Steigbügel genügt.»
Leon tat, wie ihm geheißen. Tia packte Danas Beine und versuchte zu schieben.
Was für eine absurde Situation, dachte sie. Armes Mädchen, ich möchte nicht mit ihr tauschen.
Dana schien ähnlich zu empfinden, denn vor Angst und Scham brach sie plötzlich in Tränen aus. «Es hat keinen Zweck! Ich bin zu dick. Am besten lassen Sie mich hier zurück!»
«Reden Sie keinen Unsinn!», fauchte Tia zwischen zusammengebissenen Zähnen, während sie sich in Ermangelung einer dezenteren Alternative gegen Danas Gesäßbacken stemmte. «Versuchen Sie sich ein wenig zu drehen!»
Während Dana sich wand, spürte Tia nackte Haut: Der Reißverschluss des Overalls, der dem Mädchen viel zu eng war, hatte sich geöffnet und gab ein Stückchen Bauch frei, das nun direkt auf den Pilzranken scheuerte.
Verflixt … das war gar nicht gut. Wenn sie noch länger in diesem Loch feststeckte, würde der Pilz ihre Haut angreifen.
«Entspannen Sie alle Muskeln, auch den Po! Lassen Sie die Beine locker hängen!» Tastend überzeugte sie sich, dass Dana der Aufforderung nachkam. «Justin? Ziehen Sie
jetzt
– so fest Sie können!»
Tia packte Danas schlaffe Beine und stemmte sie in die Waagerechte. Es gab einen leichten Ruck, und endlich glitt der Körper des Mädchens durch die Öffnung. Tia schob nach, bis auch ihre Knie und Füße verschwunden waren. Dann ließ sie sich aufatmend an der Wand herabsinken.
«Alles bestens!», rief Justin, während von Dana nur ein unterdrücktes Schluchzen zu hören war.
«Na denn.» Erleichtert wandte Tia sich Leon zu. «Glaubst du, du schaffst es alleine?»
«Sicher», sagte Leon stoisch. «Geh ruhig vor! Wir sehen uns auf der anderen Seite.»
••• 23 : 52 ••• DANA •••
Während Leon und Tia durch die Öffnung kletterten, hockte Dana in einer Ecke – auf den Fußspitzen, um mit keinem Teil ihres Körpers die Pilzranken am Boden zu berühren. Obwohl niemand sie sehen konnte, hatte sie das Gesicht in den Händen verborgen. Noch nie im Leben hatte sie sich derart beschämt und gedemütigt gefühlt. Selbst Justins Arm, den er tröstend um ihre Schulter gelegt hatte, hätte sie am liebsten weggestoßen.
Schon komisch,
sagte eine kalte Stimme in ihrem Geist.
Vor ein paar Stunden hättest du noch gedacht, es sei das Schlimmste auf der Welt, in einem stockdunklen Raum eingesperrt zu sein. Vor einer Stunde dachtest du, es sei das Allerschlimmste, in
einer Felsspalte festzusitzen und nicht herauszukönnen, ohne dir die Schulter auszurenken. Und vor einer halben Stunde konntest du dir nichts Schrecklicheres ausmalen, als bei lebendigem Leib von einem Pilz gefressen zu werden, dessen Berührung sich anfühlt wie die einer Spinne mit Tausenden von Beinen. – Doch du hast dich geirrt: Der wahre Gipfel des Horrors besteht darin, mit deinem breiten Hintern in einem Durchgang stecken zu bleiben wie ein aufgedunsener Korken im Flaschenhals, weder vorwärts noch rückwärts zu können und zu hören, wie die anderen sich vergeblich mit dir abmühen.
Demütigung, fand Dana, war schlimmer als Todesangst. Sterben konnte man wenigstens in Würde, sofern die Umstände es zuließen – dick sein hingegen nicht. Andere hätten nicht verstanden, was in ihr vorging, nicht einmal Justin. Er wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn jeder Tag mit der gnadenlosen Anzeige der Waage begann,
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