Das Geflecht
schien. «Das geht uns doch nichts an.» Und in Leons Richtung gewandt, fügte er entschuldigend hinzu: «NehmenSie’s ihr nicht übel, sie versucht gern die Probleme anderer Leute zu lösen.»
«Nein nein, ist schon gut», bremste ihn Leon. «Ihre Freundin hat wahrscheinlich nicht unrecht.»
«Dachte ich’s mir doch!», sagte Dana. «Ich kann vielleicht keine chemischen Verbindungen riechen, aber wenn es um Gefühle geht, kriege ich eine ganze Menge mit.»
«Unbestritten», schmunzelte Justin.
«Mal ehrlich, Leon», fuhr Dana fort. «Haben Sie Tia jemals ganz deutlich gesagt, dass Sie sie lieben? In genau diesen Worten, ohne ironischen Unterton?»
Leon dachte nach. Langsam schüttelte er den Kopf, besann sich dann erst, dass Dana es nicht sehen konnte, und zwang sich zu einer hörbaren Äußerung. «Nein, das habe ich wohl nicht.»
«Dann wird es höchste Zeit», sagte Dana ernst. «Stellen Sie sich nur einmal vor …» Sie zögerte, und ein Schatten der Angst stahl sich zurück in ihre Stimme. «… wir würden hier nicht mehr herauskommen.»
«Sag doch nicht so was!», mahnte Justin, und Leon hörte, wie er seine Freundin in den Arm nahm.
••• 01 : 40 ••• CAROLIN •••
Erstaunt blickte Carolin zum sternklaren Nachthimmel auf, als ein Regentropfen ihre Nase traf.
«Jetzt wird’s hier draußen langsam ungemütlich», sagte Jürgen Traveen. «Dabei sollte es doch angeblich die wärmste Nacht des Jahres werden.»
«Ist es auch», nickte Carolin. «Wir haben bestimmt noch achtzehn Grad. Aber wenn es sich jetzt einregnet …»
«Also, für meine alten Knochen ist das nichts. Ich glaube, ich wärme mich ein wenig im Wagen auf.»
«Darf ich Sie in meinen einladen?», bot Carolin an. «Ich habe bequeme Sitze und eine vorzügliche Standheizung.»
Traveen lächelte. «Gern.»
Sie setzten sich in Bewegung und schlenderten durch den aufkommenden Regen zum Parkplatz hinüber. Dass sie am Bergwerkstor irgendetwas verpasste, befürchtete Carolin nicht. Der Vorplatz war von den Scheinwerfern der Einsatzfahrzeuge hell erleuchtet, und wenn sich irgendetwas Aufregendes tat, würde sie es rechtzeitig mitbekommen. Außerdem fand sie die Aussicht verlockend, sich zu entspannen und ein wenig Abstand zu gewinnen. Traveens Gesellschaft störte sie dabei nicht im mindesten – im Gegenteil: Vielleicht kam sie auf diese Weise noch zu einem verwertbaren Interview.
Als beide im Wagen Platz genommen und die kühle Nachtluft ausgesperrt hatten, zückte Carolin ihren Notizblock und wagte einen Vorstoß.
«Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?»
Traveen lächelte. «Das dachte ich mir schon – aber auf Ihre Gefahr! Alte Männer reden viel.»
«Ich kann immer noch kaum glauben, dass Sie vor meinem Anruf nichts von der Geschichte gewusst haben. Sie erwähnten doch, Sie hätten kurz nach acht mit Ihrer Tochter telefoniert.»
«So war es. Aber Tieken wollte mir nicht sagen, wohin sie unterwegs war. Glaubte wohl, wie üblich, sie müsste mein klappriges altes Herz schonen.»
«Tieken? Ist das Tias Spitzname?»
Traveen grinste entschuldigend. «Na ja, eigentlich
Tie chen
, aber auf Ruhrpottsch. Ich bin gebürtiger Dortmunder, wissenSie, und meine Kleine auch, obwohl man es ihr nicht mehr anmerkt.»
Ein Hustenanfall unterbrach seine letzten Worte.
«Geht es Ihnen nicht gut?»
Traveen winkte ab. «Bergmannskrankheit. Oder, wie das vornehm heißt, chronisch-obstruktive Bronchitis. Hab ich schon seit zwanzig Jahren.»
Mitleidig musterte Carolin seine gräuliche Gesichtsfarbe. Nun, in der Stille der geschlossenen Fahrerkabine, fiel ihr auch auf, dass sein Atem ein wenig pfiff. «Waren Sie lange im Bergbau tätig?»
«Bis 1996», bestätigte Traveen nicht ohne Stolz. «Steinkohle, eine der letzten Gruben in ganz Deutschland. Als sie geschlossen wurde, bin ich in Frührente gegangen. Das Geschnorchel, das sie da hören, ist nämlich als Berufskrankheit anerkannt – kommt vom Kohlenstaub. Sehr lange werde ich damit nicht mehr leben, aber sei’s drum. Tieken will mir immer einreden, dass ich kürzertreten und mich bloß nicht überanstrengen soll, aber das ist eben so ihre Art: Andere schont sie gerne, nur sich selbst nie. Sie macht sich schon Sorgen, wenn ich größere Strecken mit dem Auto fahre – während sie in die tiefsten Höhlen steigt, sich an Felswänden abseilt und durch irgendwelche unterirdischen Seen taucht.»
«Darf ich daraus schließen, dass Sie mit dem – sagen wir mal –
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