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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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ausstehen.»
    Carolin nickte. «Glauben Sie, dass Tia es schafft, die Verschütteten wieder ans Tageslicht zu bringen?»
    «Seit der Aktion in Biedersheim traue ich ihr so ziemlich alles zu. Allerdings lag die Sache dort anders: Es war ein Betriebsunfall, und Tieken hat der Werksleitung von sich aus ihre Hilfe angeboten, weil es darum ging, durch einen engen Schacht zu kriechen und auf Klopfzeichen zu horchen, die sie besser orten konnte als jedes Richtmikrophon. Hier dagegen geht es um eine unerforschte Höhle, die niemand kennt – offenbar nicht einmal der Ingenieur. Komische Sache übrigens.»
    «Was meinen Sie damit?»
    «Na ja, Sie haben mir doch erzählt, dass dieser Bringshaus für die Verwahrung der Anlage zuständig war. Das ist schön und gut, aber ich wundere mich, dass er die Höhle nie erkunden ließ. Hohlräume von unbekannter Ausdehnung können schließlich sehr wohl die Stabilität eines Bergwerks gefährden.»
    «Vielleicht fehlten der Stadt die Geldmittel dafür», meinte Carolin, die einen recht sympathischen Eindruck von Bringshaus hatte und ihn in Schutz nehmen wollte.
    «Möglich, möglich   …» Traveen runzelte die Stirn. «Trotzdem kommt die Sache mir seltsam vor – ich kann’s nicht erklären, ist nur so ein Gefühl. Zwei Jugendliche stürzen in diesen Schacht, darunter die Freundin seines Sohnes, und was tut dieser Bringshaus? Er ruft ausgerechnet meine Tochter an, die zufällig in der Nachbarstadt ist.»
    «Die Novaks sagen, er hätte in der Zeitung über sie gelesen.»
    «Aber warum holt er eine Höhlenforscherin?»
    «Er nahm wohl an, dass die Feuerwehr dieser Art von Rettungseinsatz nicht gewachsen wäre.»
    «Mag sein.»
    «Worauf wollen Sie hinaus?», fragte Carolin.
    Traveen schwieg eine Weile, wobei er sich nachdenklich die Lippen knetete. «Ich weiß es nicht – wirklich nicht. Nur eins weiß ich ganz sicher: Wenn mein kleines Wunderkind eine Schwäche hat, dann ist es ihre Gutwilligkeit. Seit sie beschlossen hat, nie wieder Hilfe zu brauchen, macht sie sich eine Lebensaufgabe daraus, anderen zu helfen.» Er seufzte. «Im Stillen bangt mir schon lange vor dem Tag, an dem irgendjemand ihre Hilfsbereitschaft ausnutzt.»

••• 01   :   52 ••• TIA •••
    Tia hatte ihre drei Gefährten in der Kammer zurückgelassen, die angrenzende Höhle betreten und einen tunnelartigen Felsspalt auf der linken Seite entdeckt. In diesen zog sie sich einige Meter zurück, bis sie sicher war, außer Hörweite zu sein. Dann lehnte sie sich an den kühlen Fels in ihrem Rücken und atmete tief durch.
    Ausgerechnet eine unschuldige Bemerkung Justins hatte die entscheidenden Assoziationskreise in ihrem Kopf geschlossen, auch wenn es ein bisschen gedauert hatte. Die Worte waren einfach hängengeblieben und hatten eine Art fortwährendes Echo in ihrem Geist erzeugt. Nun endlich begriff sie den Grund dafür.
    Von Anfang an hatte Tia geahnt, dass die Fässer in der Höhle irgendeine giftige Chemikalie enthielten, und es hatte sie irritiert, dass ihr Geruchssinn nicht darauf ansprach. Die Tatsache, dass keiner ihrer Begleiter Vergiftungserscheinungen zeigte, hatte sie vorerst beruhigt. Nun aber erinnerte sie sich an einen Artikel in einer Fachzeitschrift, den sie erst vor wenigen Monaten gelesen hatte – einen Artikel über Pilze.
    Dass ich nicht früher darauf gekommen bin, dachte sie kopfschüttelnd. Was soll ich denn jetzt tun?
    Ihre Finger zitterten, als sie das Mikrophon ihres Headsets nahe zum Mund bog.
    «Herr Böttcher?»
    Atmosphärisches Rauschen erfüllte den Äther, durchsetzt von leisem Knistern und Knacken, seelenlos, steril.
    «Kann mich irgendjemand hören?»
    Sie wartete, wiederholte die Durchsage, wartete erneut. Eigentlich war es nicht erstaunlich: Zwischen ihr und den Menschen draußen lagen mindestens sechzig Meter solides Gestein.Dennoch war es nicht ausgeschlossen, dass man sie hörte. Die Art und Weise, wie Langwellen sich unter Tage ausbreiteten, war tendenziell unberechenbar. Außerdem musste sie sprechen – es aussprechen, um sich davon zu befreien.
    «Falls mich jemand hört: Wir sind am Leben und weitgehend unverletzt, ich selbst, Leon Berner, Justin Bringshaus und Dana Novak. Wir schlagen uns quer durch ein bislang unentdecktes Höhlensystem nach Nordwesten. Ich hoffe, Sie finden den Ausgang und kommen uns entgegen. Falls Sie das tun, treffen Sie bitte medizinische Vorkehrungen besonderer Art, und zwar   …»
    Sie machte eine Pause und sammelte ihre Kräfte.

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