Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
Vom Netzwerk:
Justin mit hörbarem Schmunzeln ein.
    «Das mit dem Overall tut mir leid», sagte Tia ernsthaft. «Leider kann ich Ihnen nichts Maßgeschneidertes anbieten. Mit Ihren C-Cups kann ich nun einmal nicht konkurrieren.»
    «Beneidenswert», meinte Dana. «Ich wäre auch gern so schlank.»
    «Unsinn. Ich halte Sie gerade im Arm, und Sie fühlen sich wunderschön an. Übrigens riechen Sie auch gut.»
    «Tatsächlich?», fragte Dana betreten.
    «Ja, ein bisschen nach Maltol. Sehr angenehm. Kein Wunder, dass unser monströser Pilzfreund beschlossen hat, Sie anzuknabbern.»
    Diesmal musste selbst Dana lachen – und Leon, der ein wenig abseits von den anderen saß, war dankbar für die Auflockerung der Stimmung.
    «Sie riechen auch gut», gab Dana das Kompliment zurück. «Und Sie sind so warm. Wie können Sie so warm sein, wo Sie so wenig an haben?»
    «Keine Ahnung», antwortete Tia. «Mit Kälte komme ich gut zurecht. Hängt wahrscheinlich mit meinem Stoffwechsel zusammen.»
    «Ja, es ist phänomenal!», warf Leon ein. «Im Winter kann ich die Heizung abstellen, wenn Tia im Zimmer ist. Sie strahlt wie ein Backofen.»
    «Komm ruhig rüber, wenn dir kalt ist!», lud sie ihn ein. «Einen Arm habe ich noch übrig, und ein Zipfel der Heizdecke ist auch frei.»
    «Danke, ich komm schon klar», wehrte Leon ab. In Wahrheit fror er bitterlich, doch um nichts in der Welt hätte er es gewagt, sich an Tia zu kuscheln.
    «Wie du meinst», überging sie seine Ablehnung. «Justin, wie geht es Ihnen?»
    «Ganz gut», sagte Justin. «Ich habe ja meinen dicken Pullover – und meine Freundin geben Sie mir sicher auch noch wieder.»
    «Ja, sobald sie gut durchgewärmt ist. Lange kann es nicht mehr dauern. Wenn sie schon wieder die Kraft hat, sich für ihren Hüftumfang zu entschuldigen, hat sie vermutlich das Schlimmste überstanden.»
    Diesmal lachten alle, selbst Leon.
    Es ist unglaublich, dachte er. Unglaublich, wie diese Frau es schafft, den Menschen in ihrer Umgebung Hoffnung zu geben, sie sogar zum Lachen zu bringen – und das in der denkbar bedrückendsten Lage.
    Dabei wirkte ihr Verhalten nicht im mindesten künstlich oder berechnend: Tia ließ sich einfach gehen, plauderte und scherzte und vertraute darauf, dass die Wärme, die in ihr war, auf die anderen abstrahlte. In Gedanken sah Leon sie in eine gläserne, halb durchsichtige Gestalt verwandelt, in der ein Feuerball glühte wie eine faustgroße Sonne.
    «Spüren Sie Ihre Finger wieder?», fragte Tia sanft.
    «Mmmh», bestätigte Dana leise.
    «Meinen Sie, wir können die Decke ausbreiten, sodass wir alle etwas davon haben?»
    «Ja, natürlich», sagte Dana fast schuldbewusst.
    «Wenn wir eng genug zusammenrücken, können wir uns das Ding im Kreis um die Schultern legen. Leon, du solltest auch zu uns kommen!»
    Leon seufzte und überwand sich, zu den anderen zu rutschen. Allerdings mied er Tias freie Seite und rückte stattdessen enger an Justin. Wie sich herausstellte, war die Heizdecke tatsächlich groß genug für alle, sodass sie wie unter einer Zeltplane saßen, die Köpfe eng zusammengesteckt.
    «Wahnsinn!», sagte Justin. «Das ist ja fast gemütlich. Fehlt nur noch eine Kerze.»
    «Ja, es wäre schön, etwas zu sehen», meinte Dana. «Irgendetwas.»
    Leon stimmte ihr im Stillen zu. Was ihn betraf, so hätte er die Heizdecke jederzeit gegen eine noch so kleine Flamme eingetauscht, wenn sie nur Licht spendete.
    «Ich kann nicht mal mehr das Zifferblatt meiner Armbanduhr erkennen», bemerkte Justin. «Ich dachte immer, da wäre so ein radioaktiver Stoff drin, der von selbst leuchtet.»
    «Tritium.» Leon nickte. «Nein, das Zeug verwendet man heute nicht mehr. Der Ersatzstoff ist strahlungsneutral, aber dafür lässt seine Leuchtkraft im Dunkeln nach.»
    «Komische Vorstellung», sagte Dana, «mit Leuten unter einer Decke zu stecken, die man noch nie gesehen hat.»
    «Vielleicht sollten wir eine Vorstellungsrunde machen», witzelte Leon. «Hallo, ich bin der und der, soundso alt, und meine Hobbys sind   …»
    «Nur zu!», sagte Tia. «Es kann nicht falsch sein, wenn wir uns besser kennenlernen. Warum machst du nicht den Anfang?»
    «Ich?», wehrte Leon erschrocken ab.
    «Ach, bitte ja!», bat Dana. «Lassen Sie uns das machen! Es tut so gut, menschliche Stimmen zu hören.»
    «Na schön.» Leon sammelte sich und schluckte sein Unbehagen hinunter.
    Was für eine absurde Situation, dachte er. Vorstellungsgespräche hatte er schon eine Menge gehabt, aber noch nie im

Weitere Kostenlose Bücher