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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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ahnst so manches nicht, dachte Leon bitter. Erst recht nicht, welche Rolle du in
meinen
Träumen spielst.
    «Es muss furchtbar sein», sagte Dana bedrückt, «aufzuwachen, die Augen zu öffnen – und trotzdem nur Schwärze zu sehen.»
    «Nein, da täuschen Sie sich», widersprach Tia. «Es ist eine Sache der Übung, aus der Schwäche eine Stärke zu machen. Die meisten blinden Menschen entwickeln einen ausgeprägten Hör- und Tastsinn und erschließen sich damit Welten, von denen sehende Menschen kaum etwas ahnen. Ich zum Beispiel kann mit der Zunge schnalzen und am Klang des Echos die Entfernung und Beschaffenheit der nächsten Wand erkennen. Und ich könnte Ihnen, zum Beispiel, die chemische Zusammensetzung Ihres Deos nach dem Geruch aufschlüsseln. Nebenbei bemerkt: zu viel Aluminium! Sie sollten es einmal mit Alaun versuchen, einem Mineral, das man in Tropfsteinhöhlen findet. Es ist das beste Naturdeodorant der Welt.»
    «Himmel!» Dana schüttelte sich hörbar. «Darum also wussten Sie, dass ich chinesisches Essen mag – wie peinlich! Sie konnten es
riechen?
»
    «Daran ist nichts peinlich», sagte Tia. «Seit ich blind bin, liebe ich Körpergerüche, denn sie verraten weit mehr über eine Person als ihr Äußeres. Meistens kann ich riechen, in welcher Stimmung ein Mensch gerade ist, ob er ausgeglichen ist, sich ärgert oder sich fürchtet. Ich bedaure manchmal, dass die Menschen ihren natürlichen Geruch mit so vielen künstlichen Duftstoffen unterdrücken.»
    «Oh ja, ich kann ein Lied davon singen!», warf Leon ein. «Tia stöhnt ständig über mein Rasierwasser.»
    «Das
ist
ja auch scheußlich, dieses penetrante Mentholzeug!», gab Tia zurück.
    «Hört sie euch an!» Leon grinste. «Wir sitzen sechzig Meter unter Tage in einer unerforschten Höhle, aber Tia hat nichts Besseres zu tun, als sich über mein Aftershave aufzuregen.»
    Justin lachte, und Tia stimmte ein – lediglich Dana blieb einen Moment stumm.
    «Sind Sie beide   … zusammen?», fragte sie plötzlich.
    «Nicht in dem Sinne, wie Sie es wahrscheinlich meinen», antwortete Tia. «Wir arbeiten zusammen, und wir teilen uns eine Wohnung.»
    Leon schwieg.
    Immer wieder wie ein Schlag mit dem Holzhammer, es in ihren Worten zu hören, dachte er. Scheint ihr ja wirklich wichtig zu sein, dass kein falscher Eindruck entsteht.
    «Alle gut durchgewärmt?», wechselte Tia abrupt das Thema. «Der Akku scheint schon schwächer zu werden. Wir sollten bald aufbrechen, damit wir wieder in Bewegung sind, bevor die Decke kalt wird.»
    «Zwei Minuten noch!», bat Justin.
    «Oh ja, bitte!», schloss Dana sich an. «Es ist gerade so gemütlich.»
    «Also gut.» Tia straffte sich hörbar. «Bleiben Sie ruhig noch sitzen. Ich werde inzwischen nach draußen gehen und das nächste Stück des Wegs erkunden. Vielleicht erspare ich uns damit Mühe und Zeit.»
    «Soll ich mitkommen?», erbot sich Leon.
    «Nein, ist schon okay. Ruh dich aus.»
    Die Decke raschelte. Tias Füße tappten zum Einstiegsloch der Kammer, und mit einer raschen Bewegung, deren Eleganzman selbst im Dunkeln ahnte, wand sie sich auf den Gang hinaus.
    Typisch Tia, dachte Leon. Wie immer die Beredsamkeit in Person, nie um eine Antwort verlegen. Aber wehe, man spricht sie auf Gefühle an – schon wechselt sie das Thema und ergreift die Flucht.
     
    «Eine bemerkenswerte Frau», brach Justin das Schweigen, als Tias Schritte sich entfernt hatten.
    «Oh ja.» Leon nickte versonnen. «Das ist sie.»
    «Sie lieben sie, nicht wahr?», fragte Dana unvermittelt.
    Leon erschrak heftig. Dies hatte ihm noch nie jemand auf den Kopf zugesagt – und erst recht keine Person, die nicht einmal sehen konnte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
    «Wie kommen Sie darauf?», wich er aus, bemüht, seine Stimme zu beherrschen.
    «Das ist doch offensichtlich», antwortete Dana schlicht. «Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man das nicht bemerken kann.»
    «Tia gelingt es ganz gut, nichts zu bemerken», erwiderte Leon bitter.
    Dana setzte sich auf, er hörte die Decke rascheln. Ihre Stimme klang erstmals sicher, als bewege sie sich endlich auf vertrautem Boden. «Haben Sie es ihr jemals gesagt?»
    «Tausendmal.» Leon winkte ab. «Zwecklos.»
    «Das glaube ich nicht», beharrte Dana. «Sie haben Andeutungen gemacht, aber nicht mehr – richtig? Womöglich in demselben sarkastischen Ton wie jetzt. Kein Wunder, dass sie nicht darauf eingegangen ist.»
    «Dana!», mahnte Justin, dem die Unterhaltung peinlich zu werden

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