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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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darüber reden willst, dann sag mir wenigstens, was ich tun soll.»
    Tia schluckte und verdrängte die Tränen.
    «Mich festhalten», flüsterte sie leise, fast beschämt. Zaghaft tastete sie nach seiner Hand. Die Wärme, die sie spürte, durchbrach ihre Hemmungen. Sie schlang die Arme um Leon und schmiegte sich fest an ihn. Das hatte sie noch nie getan – und empfand sofort Gewissensbisse, denn ihr Schutzbedürfnis schien ihn zu überfordern: Sein Körper versteifte sich wie in jäher Abwehr. Erst nach Sekunden hob er eine Hand und legte sie, mehr symbolisch als fest, auf ihren Kopf, der an seinem Hals lag. Sein Atem klang angespannt, und sie konnte fühlen, dass seine Nackenmuskeln verkrampft waren.
    Nur einen Moment!, versuchte sie ihm ohne Worte zu signalisieren. Gib mir nur diesen einen, kurzen Moment.
    Widerstrebend löste sie sich von ihm, als sie spürte, dass er diesen Grad von Nähe nicht länger ertragen konnte. Ihre Hoffnung, einmal hemmungslos weinen zu dürfen – so wie zuletzt als Kind bei ihrem Vater   –, hatte sich nicht erfüllt. Stattdessen bemühte sie sich um Fassung, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und atmete tief, um sich zu beruhigen.
    «Ich habe nur eine Vermutung», brachte sie schließlich mit unsicherer Stimme hervor. «Aber sie kann sich als völlig falsch herausstellen.»
    «Und? Lässt du mich nun daran teilhaben?»
    «Nicht, bevor ich mir sicher bin.»
    Leon seufzte abermals. «Na schön. Gegen deinen Dickkopf komme ich ja doch nicht an.»

••• 02   :   00 ••• BRINGSHAUS •••
    Bringshaus und Böttcher hatten nach einem längeren Marsch den Bergfuß zur Hälfte umrundet. Sie begegneten keinem Menschen, denn sie folgten einem einsamen Wanderweg quer durch das Naturschutzgebiet, der von Wäldern und Wildwiesen umgeben war. Im Mondschein war der Weg geradezu unheimlich, denn aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen drangen alle möglichen Geräusche: Ein Rascheln und Knacken verriet, dass Marder, Wiesel und andere Raubtiere auf der Pirsch waren, und irgendwo in der Ferne glaubte Bringshaus das Geschrei einer Eule zu hören.
    Er war froh, als sie einen Rastplatz erreichten, den er selbst im Dunkeln wiedererkannte. Von hier aus führte ein überwucherter Fußpfad in eine Senke, die nordseitig durch einen zwei Meter hohen Steilhang begrenzt war. Der ehemalige Campingplatz war seit vielen Jahren geschlossen, und nur hier und dort verrieten kleine Häufchen aus Blechdosen und anderem Unrat, dass die Verbotsschilder gelegentlich von Wanderern missachtet wurden.
    Bringshaus hob die Stablampe und ließ den Lichtkegel über die Steilwand wandern. «Schwer vorstellbar, dass hier irgendwo ein Stollen sein soll. Er wäre doch längst entdeckt worden.»
    «Nicht, wenn er gut versteckt ist», meinte Böttcher. «Wir sollten den Hang abschreiten, und zwar Meter für Meter.»
    Sie taten es, beide Lampen zu Boden gerichtet. Es war nicht einfach, denn der Fuß des Abhangs war zerklüftet und mit Steinen übersät, zwischen denen hüfthohes Gestrüpp wucherte. Bringshaus nahm einen herumliegenden Stock auf, um die Büsche zur Seite zu streichen und in jeden Winkel zu spähen, wobei er sich vorkam wie ein Dschungelforscher mit einer Machete. Der Steilhang erstreckte sich über fast hundertfünfzigMeter, und es dauerte lange, bis sie ihn abgeschritten hatten und beschlossen, umzukehren und es noch einmal in der Gegenrichtung versuchen.
    «Schau mal hier!», rief Böttcher plötzlich, ging in die Knie und bog einen Busch zur Seite.
    Bringshaus eilte herbei und erblickte einen kleinen Haufen losen Gerölls, der sich an der Wand zwischen dichtem Gestrüpp türmte. Böttcher schob die Steine auseinander – und was zum Vorschein kam, war eine halbrunde Öffnung, kaum kniehoch und mit einem Eisengitter verschlossen, an dessen rostigen Stangen Kletterpflanzen wucherten.
    «Bingo!», sagte Böttcher. «Perfekt getarnt. Das muss der Eingang sein! Kein Wunder, dass er nie entdeckt wurde.»
    «Ich glaube, du hast recht.»
    Bringshaus leuchtete mit der Lampe durch das Gitter und erkannte die schattenhafte Umrisse eines engen Stollens, der viel tiefer lag als das Gelände draußen.
    «Offenbar hat sich der Boden gehoben und den unteren Teil des Eingangs verdeckt», vermutete er, scharrte die Erde rund um die Gitterstäbe fort und stieß auf einen steinharten Absatz. «Das dachte ich mir: Bis auf Brusthöhe mit Beton verplombt. Dieses Gitter verschließt nur das obere Drittel der

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