Das gefrorene Licht. Island-Krimi
sie am liebsten im Boden versunken. Dóra versuchte, ihr aufmunternd zuzulächeln. Die Frau stand unsicher im Türrahmen, räusperte sich und sagte dann mit leiser Stimme zu Bergur: »Kommst du rein?« Dóra und Matthias ignorierte sie.
»Ja«, antwortete Bergur. In seiner Stimme lag nicht eine Spur von Wärme. »Geh rein. Ich komme.«
»Also dann«, sagte Dóra fröhlich. »Wir beeilen uns besser.« Sie drehte sich zu Bergur. »Vielen Dank. Es war gut, den Tatort sehen zu können.« Ihr Blick wanderte von Bergur zu der Frau, die Rósa sein musste. »Dein Mann war so freundlich, uns die Box zu zeigen, in der die Leiche gefunden wurde. Ich bin Anwältin und durch meinen Mandanten in den Fall verwickelt.«
Rósa nickte gleichgültig. »Hallo. Rósa.« Sie reichte Dóra nicht die Hand, als sie sich vorstellte. Ihre Augen verweilten für den Bruchteil einer Sekunde auf Dóra, dann drehte sie sich sofort zu ihrem Mann. »Kommst du dann jetzt?«, wiederholte sie. Bergur antwortete nicht.
Dóra versuchte, die heikle Situation mit einer abschließenden Frage zu überspielen, die Matthias glücklicherweise nicht verstand. »Ich habe einen jungen Mann im Rollstuhl beim Hotel gesehen. Ich glaube, er stammt aus der Gegend. Wisst ihr vielleicht, wie er verunglückt ist?« Bergur und Rósa starrten sie regungslos an. »Ihr wisst schon, der mit den schlimmen Brandwunden«, fügte sie erklärend hinzu. Mehr musste sie nicht sagen, denn die Schimpfworte, die Rósa ausspuckte, ließen keinen Zweifel daran, dass sie wusste, um wen es sich handelte. Dóra war wie vor den Kopf gestoßen und beobachtete wortlos, wie Bergur seine Frau am Arm packte und mit sich hinauszog.
Matthias legte Dóra die Hand auf die Schulter. »Ich kann dir mit Worten gar nicht sagen, wie gerne ich diesen schlecht riechenden Ort verlassen möchte. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich noch lieber wüsste, was du um Himmels willen zu der armen Frau gesagt hast!«
Magnús Baldvinsson lächelte still in sich hinein. Auch wenn er alt und müde war, gab es Momente, in denen er seine gebrechliche Hülle vergaß und sich so fühlte wie in jungen Jahren. Jetzt war einer dieser Momente. Er wählte seine eigene Nummer und wartete beschwingt darauf, dass seine Frau abhob. Er nahm einen großen Schluck von dem Cognac, den er an der Bar gekauft hatte, und genoss das Gefühl, wie die goldene Flüssigkeit seine Mundhöhle erwärmte, bevor er sie hinunterschluckte. »Hallo Fríða«, sagte er. »Es ist vorbei.«
»Was?«, hörte er seine Frau sagen. »Kommst du nach Hause? Was ist passiert?«
»Die Polizei hat einen Mann wegen des Mordes an Birna festgenommen«, antwortete Magnús und schwenkte das Glas vor seinen Augen hin und her. »Du kannst Baldvin sagen, er soll mich abholen, wenn es ihm passt.«
»Er ist im Ostland und bereitet den Parteitag vor. Wenn ich mich recht erinnere, kommt er heute Abend erst spät nach Hause«, antwortete seine Frau mit ängstlicher Stimme. »Soll ich jemand anderen bitten, dich abzuholen?«
»Nein, nein«, antwortete Magnús unbekümmert. Zu seiner Freude über die nachlassende Anspannung und Beklemmung der vergangenen Tage gesellte sich der altbekannte Stolz auf seinen Enkel. »Ich würde gerne mit ihm fahren. Möchte hören, was er vom Parteitag zu berichten hat.«
»Seit er dich nach Snæfellsnes gebracht hat, fragt er ständig, ob es Neuigkeiten von dir gibt«, erklärte seine Frau.
Sie verabschiedeten sich, und Magnús legte auf. Er ließ seine Hand einen Moment auf dem Hörer ruhen und zog sie dann weg. Er wusste nicht, ob es die alte Pranke war, die ihn wieder in die Gegenwart riss, oder der Alkohol, aber er fühlte sich wieder wie ein alter Mann. Verwundert spürte er, wie ihm eine Träne über die raue Wange lief; er sah sie auf sein Hosenbein tropfen. Als er den Fleck anstarrte, wurde er von Schuldgefühlen und Übelkeit gepackt.
Kristín
.
Dóra massierte ihre Schläfen. »Ich weiß nicht, ob uns das weiterbringt, aber der Vers auf Grímur þórólfssons Grabstein ist aus der Hávamál«, erklärte sie und lehnte sich in ihrem Stuhl vor dem Computer zurück. Stolz schaute sie zu Matthias, wobei sie merkte, dass er gar nicht wusste, worüber sie sprach. »Die Hávamál, des Hohen Lied, ist ein altes, Odin in den Mund gelegtes Sittengedicht. Vieles davon klingt noch heute sehr vernünftig.« Dóra kannte Matthias’ desinteressierten Gesichtsausdruck aus ihrer eigenen Schulzeit, als sie zum ersten Mal ernsthaft mit der
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