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Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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war und so weiter.«
    Sóldís’ Gesichtsaudruck deutete darauf hin, dass sie die Frage sonderbar fand. »Ich bin mit þröstur gefahren.«
    »Mit dem Kajakfahrer?«
    »Ja, ich hab ihn sagen hören, er müsste kurz nach Reykjavík, und ich hatte echt ein Problem, also hab ich ihn gefragt, ob er mich mitnehmen könnte. Er hatte nichts dagegen.« Sie formte mit dem Kaugummi eine große Blase und ließ sie platzen. Die Enden des Kaugummis beförderte sie dann geschickt mit der Zunge wieder in ihren Mund. »Steini hatte abgesagt, deshalb hatte ich Glück, dass þröstur mir geholfen hat.«
    »Steini?«, fragte Dóra. »Wer ist Steini?«
    »Mein Freund«, antwortete Sóldís. »Oder ein Freund. Er wollte mich abholen, hat dann aber im letzten Moment einen Rückzieher gemacht. Er ist ein bisschen komisch. Früher war er nicht so, aber dann hatte er einen Unfall und ...« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
    »Meinst du den Jungen im Rollstuhl mit den schlimmen Verbrennungen?«, fragte Dóra erstaunt. »Kann er Auto fahren?«
    »Ja, ja«, antwortete Sóldís. »Seine rechte Körperhälfte ist zwar verbrannt, aber seine eine Hand ist völlig in Ordnung. Die Beine sind allerdings irgendwie verletzt, aber er hat ein Gerät im Auto, das ihm hilft, die Pedale zu treten. Es ist ein Automatikwagen.«
    »Das erleichtert ihm bestimmt einiges.« Dóra versuchte ihre Verwunderung zu verbergen. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass der Junge Auto fahren könnte. »Woher kennt ihr euch denn?«
    »Wir waren schon mit sechs in derselben Klasse«, antwortete Sóldís. »Es gab nur eine Klasse in unserem Jahrgang, weißt du, und nach dem Unfall ist er dann in ein Haus hier in der Nähe gezogen, und ich hab ihn besucht. Erst, weil ich Mitleid mit ihm hatte, du weißt schon, und dann einfach zum Quatschen.«
    »Er ist also ein guter Freund?«, hakte Dóra nach: »Die beiden Male, die ich ihn getroffen habe, wirkte er sehr verschlossen.«
    »Doch, er ist klasse. Er kommt nur nicht so gut mit Fremden klar«, antwortete Sóldís und ließ den Kaugummi knallen. »Ich glaube, es ist ihm unangenehm, wenn die Leute ihn anstarren und so. Eigentlich gibt es nur zwei Personen, die ihn besuchen. Ich und seine Cousine Bertha.«
    »Die habe ich kennengelernt«, entgegnete Dóra. »Seid ihr auch befreundet?«
    »Ja, könnte man sagen. Ich kannte sie vorher nicht; sie ist aus Reykjavík. Hab sie bei Steini getroffen, weißt du. Sie ist sehr nett zu ihm und scheint echt in Ordnung zu sein.«
    »Das war alles sehr tragisch«, warf Lára, Sóldís’ Großmutter, unvermittelt ein. »Hier in der Gegend wohnen nicht viele Leute, und alle wissen von dem Unfall mit zwei Toten und einem Schwerverletzten.«
    »Ich hab gehört, es war ein älteres Ehepaar von einem Hof hier in der Nähe.«
    »Ja, schrecklich«, sagte die alte Frau. »Das Schlimmste war eigentlich, dass Gvendur am Steuer alkoholisiert war. Seine Tochter Rósa hat das schwer mitgenommen. Sie ist wegen der ganzen Geschichte ziemlich isoliert. Sehr gesellig war sie nie, aber nach dem Unfall hat sie sich ganz zurückgezogen. Was Unsinn ist, denn die Leute würden sie nie dafür verantwortlich machen.«
    Dóra nickte. »Du bist aus der Gegend, nicht wahr?«, fragte sie Lára.
    »Ja, ich bin hier geboren und aufgewachsen«, antwortete sie lächelnd. Dóra bemerkte, dass Sóldís ihr ziemlich ähnlich sah. Trotz sechzig Jahren Altersunterschieds hatten sie dieselben Gesichtszüge. »Als ich jung war, habe ich ein paar Jahre in Reykjavík gewohnt, aber schnell gemerkt, dass ich mich hier wohler fühle. Es hat mich nie wirklich woanders hingezogen.«
    Dóra lächelte. »Ich bin hier auf alle möglichen Dinge gestoßen, die mich neugierig gemacht haben. Kanntest du zufällig die Leute von den beiden Höfen hier auf dem Grundstück?«
    »Die Familien von Kreppa und Kirkjustétt? Aber selbstverständlich«, sagte Lára stolz. »Wir waren beste Freundinnen, ich und Guðný, die Tochter von Kirkjustétt.«
    »Erinnerst du dich gut an diese Zeit?«, fragte Dóra, während sie fieberhaft versuchte, sich die wichtigsten Fragen ins Bewusstsein zu rufen.
    »Tja, natürlich lässt das Gedächtnis langsam nach, aber die ältesten Erinnerungen währen scheinbar am längsten. Die Brüder Grímur und Bjarni waren übrigens immer etwas Besonderes, insofern wundert es mich nicht, wenn du Fragen hast. Das Leben hier auf dem Hof war schon eigenartig.«
    Dóra hätte Sóldís’ Großmutter küssen können.

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