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Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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alles wieder eingefallen.« Sie zögerte, sah Dóra dann aber scharf an. »Ich glaube, dass Bjarni seine Tochter nie angerührt hat. Er war ein guter, wenn auch seltsamer Mann, und aus ihren Briefen konnte man lesen, wie gern sie ihn hatte.« Sie schaute zu Boden. »Aber es ist trotzdem etwas passiert. Nachdem Guðný erkrankt war, wurden die Briefe kürzer, aber sie vertraute mir dennoch in ihrem letzten Brief ein Geheimnis an. Sie schrieb, sie hätte ein Kind bekommen. Diesen Brief schrieb sie kurz nachdem ihr Vater gestorben und das Kind vier Jahre alt war. Sie schrieb, sie hätte sich nicht getraut, es mir früher anzuvertrauen. Damals galt so etwas als furchtbare Schande. Sie war erst sechzehn, als das Kind gezeugt wurde. Den Vater des Kindes erwähnte sie mit keinem Wort, schrieb nur, sie würde mir die ganze Geschichte später erzählen. Aber dazu kam es nie, denn als Nächstes hörte ich, sie sei gestorben.«
    »Wer hätte der Vater sein können?«, fragte Dóra.
    »Da kommen nicht viele in Frage«, antwortete Lára. »Bei Tuberkulose waren die Leute sehr vorsichtig, da die Krankheit hochansteckend ist und es damals keine Heilungsmöglichkeit gab. Die beiden lebten völlig isoliert, nachdem ihr Vater beschlossen hatte, zu Hause zu bleiben und nicht in die Stadt zu gehen. Sie wollte ihn nicht allein lassen, und so kam es, wie es kommen musste. Der einzige Mensch, der die beiden besuchte, war Bjarnis Bruder Grímur. Ich hatte ihn immer in Verdacht, Guðný missbraucht zu haben, obwohl man so was nicht sagen soll, wenn man keine triftigen Beweise hat. Außer vielleicht, dass er kein guter Mensch war.«
    »Was wurde aus dem Kind?«, fragte Dóra. »War es ein Mädchen oder ein Junge?«
    »Ein Mädchen. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Als ich wieder herzog, schien niemand sie gekannt zu haben. Der Pastor, der sie höchstwahrscheinlich getauft hat, war gerade verstorben, und alle Leute, die ich fragte, hatten nie ein Kind gesehen. Obwohl einige wussten, dass Guðný Waren bestellt hatte, die nur damit zu erklären waren, dass ein Kind auf dem Hof lebte. Es hieß, das Kind sei gestorben, ausgesetzt worden oder an Tuberkulose erkrankt, wie seine Mutter. Der Klatsch über Inzest ging erst los, als beide, Guðný und Bjarni, tot waren. Vielleicht haben meine Bemühungen, dieses Kind ausfindig zu machen, den Klatsch sogar losgetreten.«
    »Hast du mit Grímur darüber gesprochen?«
    »Ich hab’s versucht, aber er wollte nicht mit mir reden. Kurz nachdem ich wieder hier war, ist er nach Reykjavík gezogen. Niemand wollte mir helfen, etwas herauszufinden; über Inzest sprach man einfach nicht – es galt als große Schande.«
    »Wie hieß das Mädchen? Weißt du das?«, fragte Dóra.
    »Kristín. In dem Brief nannte sie die Kleine Kristín«, antwortete Lára. »Ich habe überall nach einem Grabstein mit diesem Namen gesucht, aber keinen gefunden. Ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist.«
    »Kristín«, sagte Dóra. »Dann gab es sie also doch.«
    »Gab?«, sagte Lára. »Ich habe immer noch die Hoffnung, dass sie lebt. Ich habe immer geglaubt, dass Guðný sie heimlich bei guten Leuten untergebracht hat. Weil sie nicht wollte, dass die Leute Kristín wegen der Ansteckungsgefahr aus dem Weg gehen. Möglicherweise hatte sie das schon seit der Geburt des Kindes beabsichtigt und Grímur darum gebeten, die Geburtsurkunde nicht an die Behörden zu schicken oder sie irgendwie zu fälschen. Ich gehe davon aus, dass das Kind in Grímurs Obhut kam, denn als es geboren wurde, war jeglicher Kontakt zu Guðný und ihrem Vater gefährlich.« Láras Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. »Guðný war gottesfürchtig. Für sie wäre nie etwas anderes in Frage gekommen, als dass ihr Kind auf einem Friedhof beerdigt wird und zwar auf dem da hinten. Deshalb glaube ich, dass das Kind überlebt hat.«
    Dóra nickte. Keine Mutter, die noch bei Verstand ist, würde ihr Kind im freien Gelände begraben, wenn ein Friedhof in der Nähe war. Kristín musste ihre Mutter überlebt haben. Sie wollte der Frau nicht von den in den Balken eingeritzten Worten erzählen – dass Kristín ermordet worden war. Für die alte Frau war es besser, zu glauben, Kristín sei noch am Leben. Daher wechselte Dóra das Thema. »Weißt du, was für ein Haus hinter diesem hier stand? Es muss vor sehr langer Zeit abgebrannt sein.«
    »Ein Haus?«, sagte Lára verdutzt. »Hier stand nur ein Haus, und das existiert immer noch, es ist nur in das neue

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