Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
Vom Netzwerk:
Sie holte tief Luft und legte los. »Weißt du, ob der Hof irgendwas mit Nazis zu tun hatte? Ich habe eine Fahne und anderes Zeugs gefunden. Weißt du etwas darüber?«
    Lára seufzte betrübt. »Ja, leider. Bjarni hatte eine Vorliebe dafür. Man muss allerdings bedenken, dass er nach dem Tod seiner Frau Aðalheiður, so um 1930 nicht mehr derselbe war. Sie bedeutete alles für ihn. Man könnte sogar sagen, dass ihm durch den Verlust sein Verstand und sein Urteilsvermögen abhanden kamen.« Die alte Dame lächelte verschmitzt. »Allerdings hat er auch profitiert von seinen Marotten. Ungefähr gegen Kriegsbeginn begann Bjarni, in abenteuerliche Dinge zu investieren, und das Glück war mit ihm. Es war ja nur Zufall, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Land durch den Krieg schlagartig besserten, durch die Besatzung und den Bevölkerungszuwachs. Grímur hatte hingegen nie so viel Glück, er vertrat immer die Stimme der Vernunft.«
    »Ist er bankrottgegangen?«, fragte Dóra.
    »Nein, so schlimm kam es nicht, aber ich glaube, es hätte nicht viel gefehlt. Er war Arzt, aber da es hier in der Gegend einen Gemeindearzt gab, hatte er nicht genug zu tun und verlegte sich immer mehr auf die Landwirtschaft. Am Ende gab er den Arztberuf auf und versuchte, den Hof zu vergrößern, aber dann fand er keine Arbeitskräfte. Alle waren nach Reykjavík gegangen, wo man bessere Löhne bei den Besatzern bekam. Bjarni hat seinen Bruder schließlich vor dem Bankrott gerettet, seine Ländereien aufgekauft, ihm aber trotzdem erlaubt, weiter zu wirtschaften, so als hätten sich die Besitzverhältnisse gar nicht geändert. Bjarni hat das getan, obwohl die Brüder kein gutes Verhältnis mehr hatten, und Grímur ist es sicherlich schwergefallen, die Hilfe anzunehmen. Zu allem Überfluss starb dann auch noch Grímurs Frau Kristrún bei der Geburt ihrer kleinen Tochter. Kristrún war gemütskrank, daher kannte ich sie kaum. Sie ging nicht viel unter Leute.« Die alte Frau machte eine Pause. »Was die Nazis angeht, da bekam Bjarni Besuch von Leuten aus Reykjavík, die ihn unbedingt zu einer Art Anführer der isländischen Nationalbewegung im Westland machen wollten. Er sollte junge Männer für eine politische Bewegung hier im Bezirk anwerben. So etwas gab es schon im Südland und ich glaube auch im Norden, obwohl sie nie richtig Rückenwind hatten.«
    »Und hat er es gemacht?«, fragte Dóra. »Ist er ihnen beigetreten und hat Leute angeworben?«
    »Er hat damit angefangen. Sogar ziemlich erfolgreich.« Lára lächelte erneut. »Allerdings interessierten sich die jungen Burschen weniger für die Ideologie, für die Bewegung oder für das Hakenkreuz als für Bjarnis Tochter Guðný.«
    Die alte Dame schaute verträumt vor sich hin. »Sie war so hübsch. Ein hübsches kleines Mädchen und eine hübsche junge Frau. Genau wie ihre Mutter. Die jungen Burschen aus dem Bezirk konnten ihre Augen nicht von ihr abwenden, als sie ins Teenageralter kam. Sie haben wirklich jede Gelegenheit ergriffen, zu ihr nach Hause zu kommen, selbst wenn sie dafür den einen oder anderen Abend so tun mussten, als seien sie Nationalisten. Ich weiß nicht, ob sie auch nur die geringste Ahnung hatten, was Nationalsozialismus war. Sie wollten einfach in Guðnýs Nähe sein.«
    »Hat sie denn an diesen Treffen teilgenommen?«
    »Nein, meine Liebe«, antwortete die Alte. »Sie hat Kaffee gekocht und die Gäste bedient. Ich musste ihr manchmal helfen. Wir haben die jungen Burschen ausgiebig gemustert und heimlich über sie gekichert.« Láras Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an, und sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie es geendet hätte, aber der liebe Gott griff ein, und es kam, wie es kam.«
    »Meinst du die Tuberkulose?«, fragte Dóra.
    »Ja, unter anderem«, sagte sie. »Bjarni wurde krank und zog sich zurück – und somit auch Guðný.« Sie seufzte. »Ich bin ungefähr zur selben Zeit mit meiner Tante in die Stadt gezogen und habe deshalb, bis auf ein paar Briefe, den Kontakt zu ihr verloren. Das ganze Nazigetue fiel in sich zusammen.«
    »Was hältst du von den Gerüchten, Bjarni hätte Guðný missbraucht?«
    Lára schaute Dóra in die Augen. Sie holte tief Luft und löste ihren Blick wieder. »Gott, wie lange das her ist. Aber ich habe in der letzten Zeit viel an Guðný gedacht.« Sie zeigte auf Sóldís, die neben ihnen wild auf ihrem Kaugummi herumkaute und sie aufmerksam beobachtete. »Als Sóldís anfing, hier zu arbeiten, ist mir das

Weitere Kostenlose Bücher