Das gefrorene Licht. Island-Krimi
dürfen. Das konnte einfach nicht sein. Im Grunde wartete er immer noch darauf, dass jemand kommen und ihm sagen würde, es sei alles ein Missverständnis. Es hätte nicht ihn, sondern jemand anders treffen sollen. Irgendwen, vollkommen gleichgültig, solange es nur jemand anders war. Verzeihung, mein Freund, dass du das versehentlich durchmachen musstest, aber so etwas passiert eben manchmal. Jetzt steh auf. Du kannst es. Es war alles ein Missverständnis. Dein Wagen ist kein Schrotthaufen. Er gehörte jemand anderem. Und du hast gar nicht dringesessen. Er stieß ein befremdliches, sonderbares Lachen aus. Sehr wahrscheinlich!
Steini setzte sich zurecht. Dabei erschien sein Spiegelbild im Fenster. Er schreckte zurück und zog die Mütze tiefer ins Gesicht, sodass so wenig wie möglich davon zu sehen war. Er würde sich nie daran gewöhnen. Niemals. Mit geübtem Griff packte er die Räder des Rollstuhls und entfernte sich vom Fenster. Wo Bertha nur blieb? Sie hatte versprochen, zu kommen, und sie stand immer zu ihrem Wort. Liebste, wundervolle Bertha. Ohne sie wüsste er nicht, was er tun sollte. Krankengymnasten, Ärzte, Psychologen und wie sie alle hießen drängten ihn, in die Stadt zu ziehen, sich an der Uni einzuschreiben und etwas aus seinem Leben zu machen. Es sei trotz seiner Blessuren noch nicht zu Ende. Durch die richtige Therapie könnte er auf den Rollstuhl fast ganz verzichten, auch wenn es mühselig und schmerzhaft sein würde. Diese Leute verstanden ihn nicht. Er musste hierbleiben. Dies war sein Zuhause, seine Heimat. Hier war nicht viel los, und die meisten kannten ihn. Niemand zuckte zurück, wenn er die schreckliche Fratze sah, die sein Gesicht sein sollte. In Reykjavík würde ihm das oftmals am Tag passieren. Er würde verkümmern und in kürzester Zeit sterben. Er war Bertha so unendlich dankbar. Sie trug am meisten dazu bei, dass er trotz seiner Unselbständigkeit bleiben konnte.
Hatte Bertha ihn jetzt etwa aufgegeben? Hatte sie genug von ihm? Ihm zum letzten Mal geholfen? Steini rollte zum Fernseher und reckte sich nach der Fernbedienung. Lieber wollte er das lausige Programm anschauen, als diesen Gedanken zu Ende denken. Er stellte den Ton lauter und glotzte auf den Bildschirm. Nicht dran denken. Nicht dran denken.
Dóra und Matthias stießen mit ihren Gläsern an. »Ich hoffe wirklich, dass der nicht aus biologischem Anbau ist«, sagte Matthias, bevor er einen Schluck nahm.
Dóra lächelte ihn an. »Nö, hoffentlich ist ein guter Schuss Insektenvernichtungsmittel und etwas quecksilberhaltiger Dünger drin.« Sie nippte an dem Wein. »Was auch immer der Winzer angestellt hat, das Ergebnis ist sehr gut.« Sie stellte ihr Glas auf die weiße Tischdecke und nahm ein Stück Brot. »Ich sterbe vor Hunger.«
»Hmm«, machte Matthias. »Ich bin wirklich froh, dass sich das nicht geändert hat. Und dass du dich nicht geändert hast.« Er blinzelte ihr zu. »Sogar dein Kleidungsstil ist immer noch so ... wie soll ich sagen ...«
Dóra sah an ihrem schlichten Pulli hinunter und streckte ihm die Zunge raus. »Hast du etwa geglaubt, ich würde mit einem Abendkleid anreisen, für den Fall, dass mich jemand zum Essen einlädt?«
»Ich bezweifle, dass du mit einem Abendkleid angereist wärst, selbst wenn dich jemand zum Essen eingeladen hätte.« Demonstrativ rückte er seine Krawatte zurecht.
»Ha, ha«, sagte Dóra. »Ich bin zu hungrig für solche blöden Witze. Wo bleibt eigentlich das Essen?« Sie schaute auf die Uhr. »Mist. Ich muss zu Hause anrufen, bevor Sóley eingeschlafen ist.« Sie nahm ihre Tasche, aber bevor sie sie öffnete, fiel ihr ein, dass ihr Handy in Polizeigewahrsam war. »Ach ja, leihst du mir mal dein Handy?«
»Klar«, sagte Matthias und reichte ihr sein trendiges Mobiltelefon. »Ist mit deinen Kindern alles in Ordnung? Ich traue mich kaum zu fragen – aber bist du schon Oma geworden?«
Dóra nahm das Handy entgegen. »Keine Sorge, du sitzt immer noch mit einer jungen Dame beim Essen.« Dóra klappte den Deckel des Handys hoch. Auf dem Display erschien ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen mit einer Unmenge von Zöpfen. »Wer ist denn das?«, fragte sie erstaunt und zeigte Matthias das Display. Er hatte nie erwähnt, dass er Vater war oder eine Beziehung hatte.
Er lächelte. »Das ist meine Tochter.«
»Was? Sieht dir nicht gerade ähnlich.« Sie musterte das Foto genauer. »Außer vielleicht ... die Frisur.« Sie wusste nicht, was sie weiter sagen sollte.
Matthias
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