Das gefrorene Licht. Island-Krimi
war kein Hellseher, falls du das meinst. Er wollte einfach nicht, dass seine Söhne zur See fahren. Hatte zu viele junge Männer auf dem Meer umkommen sehen. Er schickte seine Söhne in die Stadt zum Studieren. Grímur war sehr begabt und wurde wie gesagt Arzt, aber Bjarni war kein besonders fleißiger Schüler. Er war ein fröhlicher, netter Kamerad und stets zu einem Spaß aufgelegt. Nicht so ernst wie sein älterer Bruder. Im Grunde hätten sie kaum unterschiedlicher sein können. Man muss allerdings bedenken, dass ich sie als junge Männer nicht persönlich kannte, ich habe das von meinem Vater gehört.«
»Und Grímur wurde dann Arzt hier im Bezirk?«
»Ja, er zog hierher und baute den Hof Kreppa. Neben seiner Arzttätigkeit betrieb er auch Landwirtschaft, denn sonst hätte es hinten und vorne nicht gereicht. Damals wohnten hier auch nicht viel mehr Menschen als heute. Dann versuchte er es mit der Landwirtschaft als Haupteinnahmequelle, aber damit fuhr er nicht gut. Bjarni widmete sich hingegen ganz dem Hof. Und war sogar sehr erfolgreich. Später machte er mit verschiedenen Investitionen noch mehr Profit.«
»Und was ist das Tragische an der ganzen Geschichte?«, fragte Dóra. Bisher klang schließlich alles sehr positiv.
»Das Tragische, ja«, sagte Magnús ernst. »Das lag, wie so häufig, in der Liebe. Bjarni heiratete sehr jung eine wirklich prachtvolle Frau. Sie hieß Aðalheiður.« Magnús bekam ein verträumtes Gesicht. »Ich war ja noch ein kleiner Junge, aber ich werde sie nie vergessen. Vielleicht, weil sie sich so sehr von ihrer Umgebung abhob. Sie war die Schönste von allen, sanftmütig und freundlich. Auch tüchtig. Bjarni lernte sie in Reykjavík kennen, und als sie herzogen, war sie es überhaupt nicht gewohnt, zu arbeiten.
Aber Aðalheiður riss sich zusammen und lernte alles Notwendige. Kristrún, Grímurs Frau, war vollkommen anders. Sie stammte von hier, ein Arbeitstier wie Aðalheiður, aber auf ganz andere Weise. Sie verrichtete ihre Arbeit verdrossen, gewissenhaft und aufopferungsvoll, während Aðalheiður immer ein Lächeln auf den Lippen hatte und übermütig lachte, wenn ihr etwas missglückte. Sie passten jedenfalls gut zu ihren Männern. Bjarni fröhlich und sorglos, und Grímur stets so, als sei ihm eine Laus über die Leber gelaufen.«
»Ist Aðalheiður jung gestorben?«, fragte Dóra, weil die Frau auf den späteren Fotos nicht mehr zu sehen war.
»Ja«, sagte Magnús mit traurigem Gesicht. »Sie bekamen ein Kind, ein kleines Mädchen, das sie auf den Namen Guðný tauften. Ein sehr hübsches Mädchen, das lebende Abbild seiner Mutter. Grímur und seine Frau hatten kurz davor auch eine Tochter bekommen. Sie hieß Edda und starb im selben Jahr, als Guðný geboren wurde. Dieses Aufeinanderprallen von Trauer und Glück war die Ursache für den Streit zwischen den beiden Frauen. Grímurs Frau beschuldigte Aðalheiður, ihre Tochter vergiftet zu haben, was völlig abwegig war, aber die Frau war von Trauer überwältigt und wahrscheinlich nicht mehr ganz bei Trost, als sie das sagte. Im Zuge dessen verschlechterte sich auch das Verhältnis zwischen den Brüdern. Sie redeten nicht mehr miteinander, als das Unglück über sie kam.«
»Welches Unglück?«, fragte Dóra.
»Tja, Aðalheiður starb an einer Blutvergiftung, und Grímurs Frau drehte anscheinend durch. Sie wurde jahrelang nicht mehr gesehen, und die Brüder saßen da, der eine ein junger Witwer mit einer kleinen Tochter und der andere mit einer geisteskranken Frau und kinderlos. Trösten konnten sie einander aus Stolz nicht, und so haderte jeder mit seinem eigenen Schicksal. Allerdings bekamen Grímur und Kristrún kurz vor Kriegsbeginn ein weiteres Kind, Málfríður. Die Mutter starb im Kindsbett, obwohl Gerüchte kursierten, sie habe sich kurz nach der Geburt das Leben genommen und Grímur habe den Totenschein manipuliert. Er hatte ihn selbst ausgestellt. Ich glaube allerdings, dass das unbegründete Spekulationen sind.«
»Und die Brüder haben sich nie versöhnt?«, fragte Dóra.
»Nein, es gab nur wenig Kontakt zwischen den beiden Höfen, als Bjarni krank wurde.«
»War das nicht Tuberkulose?«
»Ja«, antwortete Magnús. »Er schottete sich ab, weigerte sich, nach Reykjavík in ein Sanatorium zu fahren und starb ein paar Jahre später.« Magnús holte tief Luft. »Allerdings nicht, bevor er seine Tochter Guðný, die ihn pflegte, angesteckt hatte. Sie überlebte ihren Vater nicht lange. Bjarnis Bruder
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