Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Die können es einfach nicht bleiben lassen, sich darüber zu beklagen, in welche Schwierigkeiten Gylfi ihre arme Tochter gebracht hat. Und dann rasten sie aus und behaupten, es sei alles meine Schuld.«
»Was ist mit deinem Ex-Mann?«, fragte Matthias. »Glaubst du, Gylfi sagt ihm Bescheid?«
»Hoffentlich nicht«, sagte Dóra. »Hannes kann sich meinetwegen ruhig Sorgen machen. Schließlich ist es seine Schuld, dass sie abgehauen sind.« Sie klopfte gegen die Tasche mit ihrem Handy und grinste. »Ich hab ungefähr hundert SMS von ihm gekriegt. Ich schaue sie mir bei Gelegenheit mal an, oder wenn ...« Ihr Handy klingelte. Sie verstummte und kramte es aus ihrer Tasche hervor. Es war Bella.
»Hallo«, sagte Dóra. »Wie ist es gelaufen?« Während sie mit der Sekretärin sprach, fischte sie einen Stift und einen Schnipsel Papier aus ihrer Jackentasche. »Keine Kristín, sagst du?« Sie lauschte und notierte sich das, was Bella herunterleierte. Dann verabschiedete sie sich und drehte sich wieder zu Matthias. »Er ist dort allein begraben. Keine Kristín in den umliegenden Gräbern.« Sie seufzte enttäuscht. »Auf dem Grabstein stehen sein Name, Geburts- und Todestag und ein kurzer Vers.«
»Wie schön«, kommentierte Matthias. »Noch mehr Verse. Lass hören.«
Dóra las die Worte, die Bella ihr diktiert hatte, von dem Papierschnipsel ab:
Eigen Haus, ob eng, geht vor.
Daheim bist du Herr.
Das Herz blutet jedem,
der erbitten muss
sein Mahl alle Mittag.
Sie blickte von dem Zettel zu Matthias. »Das kommt mir allerdings im Gegensatz zu dem anderen Vers, den ich noch nie gehört habe, ziemlich bekannt vor. Vielleicht kann ich die Quelle im Internet finden. Gut möglich, dass der Vers aus der Hávamál stammt.«
Matthias tippte Dóra auf die Schulter und zeigte auf das Hotel. »Die Polizei scheint Verstärkung angefordert zu haben«, sagte er und deutete auf einen Polizeiwagen, der auf das Hotel zufuhr. »In dieser Situation wirst du vermutlich nicht im Keller verschwinden.«
»Warum willst du nicht mit rauskommen?«, fragte Bertha verwundert und zog die Gardine vom Fenster. Augenblicklich erhellte sich der düstere Raum. »Es ist super Wetter draußen.« Sie schaute einen Moment hinaus und wandte sich dann vom Fenster ab. »Komm, das wird dir guttun.«
»Geh allein«, sagte Steini kurz angebunden und knibbelte mit der heilen Hand an einem kleinen Gumminippel herum, der sich am Reifen des Rollstuhls gebildet hatte. »Ich hab keine Lust.«
»Stell dich nicht so an«, sagte Bertha und ging zu ihm. Sie hockte sich hin, sodass ihre Gesichter auf derselben Höhe waren. Sie konnte ihn meistens besser dazu bringen, sich ihr zu öffnen, wenn sie einander in die Augen sahen. »Ich verspreche dir, dass es dir besser geht, wenn du mit an die frische Luft kommst. Irgendwas plagt dich doch, und wer weiß, vielleicht verschwindet es, wenn du an etwas anderes denkst.«
»Es wird nicht verschwinden«, sagte Steini, immer noch niedergeschlagen.
Bertha war an seine kurzen Antworten gewöhnt. Wegen der Brandnarben um den Mundwinkel fiel ihm das Sprechen schwer. Es war, als sei sein Mund an der einen Seite zusammengeschmolzen, und Bertha fragte sich immer noch, ob die Ärzte das nicht besser hätten machen können. Allerdings vermutete sie, dass Steini sich geweigert hatte, weiteren Operationen zuzustimmen; zumindest wollte er nie mit ihr darüber reden, wenn sie nachfragte. Es war kaum möglich, dass er immer noch auf der Warteliste stand, wie er ihr seinerzeit erklärt hatte. Wahrscheinlich hatte er sich immer noch nicht von den Schmerzen und Unannehmlichkeiten der ersten Operationen erholt und traute sich keine weitere mehr zu. Letzte Woche hatte sie die Nachricht eines Krankengymnasten auf seinem Anrufbeantworter gehört. Der Mann hatte Steini um Rückruf gebeten und ihn angespornt, wieder mit den Übungen zu beginnen. Als Bertha Steini gebeten hatte, den Mann anzurufen, hatte er sich geweigert, mit ihr darüber zu sprechen. Er bräuchte mehr Zeit, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, seelisch wie körperlich. »Wir können auch eine Spritztour mit dem Auto machen, wenn du willst«, schlug Bertha vor und lächelte. »Ich bin zu allem bereit, solange wir rausgehen.«
»Zu allem?«, sagte Steini und starrte ihr in die Augen, ohne zu blinzeln.
»Fast allem«, sagte Bertha mit gespielter Fröhlichkeit und stand auf. Sie wusste genau, worauf er abzielte, wollte sich aber nicht auf eine solche Diskussion einlassen. Jetzt nicht
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