Das Gegenkreuz
das wirst du verstehen...«
Kate Hogan verstand und begriff. Sie fühlte den Zeitpunkt ihres Todes bereits sehr nah. Die Knochenhand des Sensenmanns schien sie schon gestreichelt zu haben.
Wieso konnte der Tod reden? War er nicht auch ein Schatten, der zupackte, um sie ins Reich des Todes zu zerren? Traf da nicht alles zusammen, vor dem sie Angst haben musste?
Die Kälte rückte noch näher an sie heran. In der Scheibe war nichts zu sehen, denn das Fenster stand offen, und ihr Blick fiel in die winterliche Natur. Sie hörte die Echos der Stimmen, die vom Park her hochdrangen. Sie schienen der alten Frau nahe und trotzdem so schrecklich weit entfernt.
Noch immer traute sie sich nicht, ihren Körper zu drehen. Etwas hinderte sie daran. Dem Tod ins Gesicht schauen – das hörte sich so leicht an, aber es auch in die Tat umzusetzen, war etwas anderes.
»Ich bin dein Engel«, hörte sie das Flüstern.
»Engel?«, wiederholte Kate.
»Ja – dein Todesengel...«
Kate schrie nicht. Sie drehte nicht durch, nachdem sie die Botschaft gehört hatte. Sie blieb dort stehen, wo sie war, und sie starrte auch weiterhin hinaus in den Park, sah die winterliche Landschaft.
Der Todesengel also! Irgendwie hatte sie auf ihn gewartet. Ob nun Sensenmann oder er, im Prinzip war es gleich. Mit einem letzten intensiven Blick nahm sie das Bild des Parks in sich auf, dann raffte sie ihren Mut zusammen und drehte sich um.
Der Engel starrte sie an.
Eine hohe Gestalt. Dunkel, mit einem Gesicht, das dem eines Menschen ähnelte. Nur die Hautfarbe war anders. Sie erinnerte in ihrem leichten Grünton an einen verwesenden Menschen, der schon länger in einer Gruft lag.
Der Tod hatte eine Nase, einen Mund – und zwei leere Augen!
Zwei Hände griffen zu und hoben sie an.
Für den anderen war alles so leicht.
Auf einmal schwebte sie in die Höhe, das offene Fenster lockte, und sie hörte sich selbst leise lachen.
Bald kann ich fliegen, dachte sie. Einfach nur fliegen! Weg und vorbei. Nicht mehr vorhanden sein!
Mit zuckenden Bewegungen griff die alte Frau um sich. Aber es gab nichts mehr, woran sie sich hätte festhalten können. Sie griff ins Leere, hörte ein Gelächter, drehte den Kopf – und...
Jetzt wurde Kate Hogan bewusst, was ihr tatsächlich bevorstand.
Die Angst umschlang sie!
Ein Wort jagte durch ihren Kopf – Angst!
Dann fiel sie.
Und sie schrie nicht einmal auf dem Weg in die Tiefe. Die Schreie gellten ihr von unten entgegen und brachen auch nicht ab, als der Körper der alten Frau mit großer Wucht auf den Boden schlug...
»Du meinst, diese Kate Hogan im Seniorenheim könnte uns weiterhelfen?«, fragte Suko.
Davon war ich zwar nicht hundertprozentig überzeugt, trotzdem nickte ich heftig. »Könnte doch sein, Suko. Irgendwo müssen wir anfangen. Auch die kleinste Spur kann uns weiterbringen. Der geringste Hinweis, und möglicherweise hat diese Kate Hogan noch einiges für sich behalten, von dem, was sie in früheren Zeiten mal mit dem Designer erlebt hat.«
»Okay, dann versuche es.«
Suko und ich waren allein im Büro. Bill hatte sich mit Glenda ins Vorzimmer verzogen. Dort wollten sie im Internet stöbern, während ich telefonierte.
Ich bekam auch Verbindung. Eine Frauenstimme meldete sich. Augenblicklich hörte ich die Hektik daraus hervor.
Mein Misstrauen war augenblicklich da. Ich stellte mich vor, erklärte, was ich wollte.
Die Antwort bestand aus einem so hohen Schrei, dass ich den Hörer erst mal weghielt.
Suko hörte mit. Er zog ein bedenkliches Gesicht, und auch ich befürchtete nach dieser Reaktion das Schlimmste.
»Hören Sie. Ich habe Ihnen gesagt, wer ich bin und dass ich gern Kate Hogan sprechen möchte...«
»Ja, ja, ja, aber das geht nicht.«
»Wieso nicht?«
»Sie ist... sie ist tot!«, schrie die Frau. »Verdammt noch mal, sie ist vor einigen Minuten gestorben.«
Ich schnappte nach Luft. »Bitte...?«
»Ja, ja, Sie haben richtig gehört. Sie ist tot.«
»Und wie kam sie ums Leben? Hat man sie umgebracht?«
»Das weiß ich nicht. Ich glaube nicht. Sie... sie... ist einfach aus dem Fenster gefallen. Und das aus dem vierten Stock. Verstehen Sie? Da... da... kann man nicht überleben.«
»Hören Sie. Auch wenn es für Sie schlimm ist, Sie müssen mir zuhören. Ich werde so schnell wie möglich bei Ihnen sein. Prägen Sie sich meinen Namen ein. John Sinclair von Scotland Yard. Verstanden?«
»Ja...«
»Haben Sie schon die Polizei informiert?«
»Eine Kollegin hat es.«
»Gut, dann
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