Das Gegenkreuz
erklärte Sheila, dass ich gern mit ihr reden wollte, und erkundigte mich nach der Adresse.
»Sie hat keine eigene Wohnung mehr. Sie wohnt in einem Seniorenheim im Grünen, wie man so schön sagt. Aber ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn du zu ihr gehst. Sie scheint mir unter Schock zu stehen. Der Tod ihres früheren Chefs hat sie stark mitgenommen. Als ich mit ihr sprach, zitterte ihre Stimme.«
»Kann sein, dass es auch nicht nötig ist, aber ihre Adresse hätte ich schon gern.«
»Gut, die kannst du haben.«
Wir bekamen sie durchgegeben. Suko notierte mit, und ich hatte das Gefühl, dass mir Sheila noch etwas sagen wollte, aber nicht so recht damit herauskam.
»Ist noch was?«, fragte ich sie.
»Ja, schon. Ich denke, es ist besser, wenn ich es sage. Kate Hogan gab mir den Rat, mich nicht zu stark zu engagieren und in der Vergangenheit des Ermordeten herumzuschnüffeln.«
»Warum sagte sie das?«
»Weil sie den Mann besser gekannt hat. Ihn umgab schon ein recht finsteres Geheimnis. Sie hat mal gehört, dass er von den toten Engeln gesprochen hat.«
»Bitte?«
»Ja, er ist von ihnen erzogen worden oder so ähnlich.«
»Etwa in diesem Kloster?«
»Das kann schon zu treffen. Mehr weiß ich wirklich nicht.«
»Danke, das war schon eine Menge, Sheila.«
»Gut, dann gib mir noch mal mein Ehegespenst.«
Ich übergab Bill den Hörer, der natürlich hellauf über die Nachforschungen seiner Frau begeistert war. Sheila allerdings dämpfte seine Euphorie, indem sie erklärte, dass es nicht sein Fall sei.
Bill verteidigte sich. »Ich habe jedoch einen bestimmten Zusammenhang entdeckt. Das darfst du nicht vergessen.«
»Nur bist du kein Polizist.«
»Okay, wir sehen uns dann. Wann bist du wieder zu Hause?«
»Das weiß ich noch nicht. Es wird jedenfalls Abend werden. Wir haben hier einige gute Ideen, denen wir nachgehen wollen.«
»Gut, lass dir Zeit.« Er hauchte noch einen Kuss in den Hörer und legte auf.
»Die toten Engel«, sagte Suko halblaut. »Ist das eine Spur?«
»Auf jeden Fall«, erklärte ich. »Möglicherweise nennt sich dieser Orden so.«
»Und warum?«
»Das werden wir noch herausfinden. Nur, wenn Orry Voss zu den toten Engeln gehört hat, dann wundere ich mich darüber, dass man ihn umbrachte und ihm das Kreuz raubte.«
»Hältst du denn einen von denen für den Mörder?«, fragte mich der Reporter.
»Ich schließe es nicht aus.«
»Dann müssen wir den Mörder nur noch finden. Ich schätze, dass dies nicht so leicht sein wird.« Bill schlug sich auf die Schenkel. »Bin gespannt, ob wir im Internet was darüber finden.«
Daran glaubte ich nicht. Nicht, dass ich etwas gegen das Internet hatte, aber ich hielt mich lieber an die Aussagen von Augenzeugen, und den Namen Kate Hogan hatte ich mir gemerkt...
***
Die Frau mit den grauen, im Nacken zusammengeknoteten Haaren saß im Sessel und schaute aus verweinten Augen gegen die Tapete, deren Druck aus zahlreichen Frühlingsblumen bestand. Ein recht großes Fenster hatte das Zimmer, sodass eigentlich tagsüber immer genügend Licht in den Raum fiel, der wegen seiner dunklen Möbel trotzdem recht düster wirkte. Sie gehörten Kate nicht. Beim Einzug in das Heim hatte sie nur ein paar persönliche Gegenstände mitnehmen können, an alles andere musste sie sich gewöhnen, was allerdings noch immer nicht eingetreten war, denn sie hatte schon jetzt den Eindruck, in einem Grab zu sitzen.
Inzwischen war sie über 70 Jahre alt, aber mit der Ruhe war es vorbei. Der Hauptgrund lag in der Ermordung eines Menschen, den sie sehr gemocht hatte.
Orry Voss war tot.
Einfach so. Man hatte ihn erschossen in seinem Haus aufgefunden, und das war natürlich ein Fressen für die Presse gewesen, die zwar seine Leiche nicht abgebildet hatte, dafür aber die alten Fotos, die Kate so mochte, denn zu der Zeit hatte sie noch bei ihm genäht, und sie hätte es auch weiterhin getan, wenn die verdammte Gicht sich nicht in ihre Finger und Glieder geschlichen hätte, sodass ein handwerkliches Arbeiten für sie unmöglich wurde.
Es blieb das Heim und all die Erinnerungen an ein sehr erfülltes Leben.
Und es blieb der Tod, der so grausam zugeschlagen hatte, obwohl der ehemalige Chef sie jetzt von den Zeitungsfotos her anlächelte.
Gern hätte sie mit ihm getauscht, denn ihr Leben war Langeweile auf dem Fließband. Immer nur das Gleiche, keine Abwechslung, höchstens mal ein Anruf von Orry Voss, aber das war jetzt auch vorbei.
Aber es hatte auch eine andere Person
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