Das Gegenteil von Schokolade - Roman
war alles so spannend, was da passierte. Keine Zeit, um sich großartige Gedanken zu machen, wer mit wem und warum flirtet oder warum nicht. Antonie hatte alle Hände voll zu tun mit dem Pensionshund, der »einfach mal ein bisschen raus« sollte, wie sie sich ausdrückte. Ein Riesenschnauzermix mit Kräften wie ein Bär und Blicken wie ein geschlagenes Kind.
Antonie war ganz und gar damit beschäftigt, sich um ihn zu kümmern. Sie bekam seine anfängliche Ängstlichkeit in den Griff, indem sie seinen Mut bestärkte, wann immer er sich an ein Hindernis heranwagte. Und am Ende der Stunde sprang er mit Feuereifer über die Hürden und preschte so wild durch den Tunnel, dass alle über ihn lachten.
Also im Grunde nicht sehr viel Zeit und Muße, um einander genau anzuschauen und im Blick zu behalten. Aber trotzdem. Ist da dieses Bild von ihrer Ponysträhne, die über die Augen fällt. Wie der Wind hineinfährt und sie hochweht, und ich erkenne, dass Antonie meinen Blick erwidert.
Das war ein schöner Nachmittag. So viel steht fest.
Einmal, in einer der kleinen Pausen, kam mir ein merkwürdiger Gedanke, als ich Antonie dort stehen sah, den großen schwarzen Hund hinter den Ohren kraulend und in ein intensives Gespräch mit der Trainerin vertieft.
Mir kam der Gedanke, dass Antonie vielleicht gar keine Möchtegern-Verabredung mit mir arrangieren wollte, indem sie mich anrief. Vielleicht wollte sie einfach nur nett sein zu einer Tierarztkundin. Oder sie wollte ihrer offenbar guten Bekannten hier zu einem vollen Kurs verhelfen.
Dieser Gedanke kam mir, weil sie heute, außer einem strahlenden Lächeln zu Beginn, mit keiner Geste erahnen ließ, dass wir vorgestern am Telefon geflirtet hatten. Wenn wir es denn tatsächlich getan hatten. Denn daran kamen mir auch mit einem Male erhebliche Zweifel.
Wahrscheinlich, so lautete mein Gedanke dann ganz konkret, habe ich mir in meinem derzeit so verwirrten Kopf etwas eingebildet, das in Wahrheit gar nicht existiert.
Doch das Schöne war: Genau in diesem Augenblick wandte Antonie den Kopf und sah zu mir her. Eine Windböe fuhr ihr durchs kurze Haar, zerwühlte ihren Pony und ließ sie auflachen. Sie hob die Hand und strich die Strähnen zurück, aus dem Gesicht. Ihr Blick aber blieb bei mir und wurde weich.
In diesem Moment verwarf ich den gerade gefassten merkwürdigen Gedanken rasch wieder.
Jetzt stelle ich gerade fest, dass ich schon seit geraumer Zeit auf den Boden meiner inzwischen leeren Kaffeetasse starre und dass die Pizza im Ofen verdächtig nach angekokeltem Käse riecht.
Ich kann sie gerade noch vor dem Verbrennungstod retten und schaffe es, mir trotz aller Gier nicht den Gaumen zu verbrennen.
Schließlich liege ich mehr, als dass ich sitze mit vollem Bauch und zufriedener Grundstimmung auf dem Sofa, vor dem Loulou mittlerweile laut schnarcht.
Meine Blicke wandern wieder einmal hinüber zum Computer. Doch die Kaminuhr sagt, dass es noch viel zu früh ist. Viel zu früh, um dort auf der glatten Fläche Emma zu treffen.
Wenn ich sie wirklich einmal persönlich kennen lerne, dann wahrscheinlich nicht an einem Samstag. Denn da ist sie kurz angebunden. Natürlich. Alle haben samstags etwas vor. Alle gehen samstags raus. Freunde treffen. Tanzen. Essen. Kino. Theater. Aber wer um diese Uhrzeit noch keinen Plan für den Abend hat, der wird wohl gemütlich zu Hause bleiben. Längst auf dem Sofa. Eingekuschelt. Bereit für ein entspannendes Nickerchen.
Als ich aufwache, ist es vor dem großen Fenster, das zum Balkon raus geht, längst dunkel.
Nur schemenhaft sind die Bäume zu erkennen, die sich hin und her wiegen, weil der Wind gegen Abend wieder an Stärke zugenommen hat.
Loulou hat sich vor dem Sofa auf den Rücken gedreht und streckt alle vier Beine in grotesken Verrenkungen in die Luft. Ich betrachte sie ein paar Minuten schmunzelnd.
Wir zwei Mädels. Pech und Schwefel. Wir gehören wirklich zusammen.
Das war immer so. Natürlich war es mit Lothar auch wie in einer Familie. Mit Gwynhyfer und Lanzelot, den beiden pingeligen Katzen. Aber im Grunde waren wir doch zwei Parteien. Die beiden Samtpfoten gehören selbstredend zu Lothar, während Loulou schon immer mein Schatten war und es sicher auch bleiben wird.
Egal, wer irgendwann unser Leben teilt.
Ich setze mich auf dem Sofa auf und sehe mich in der Fensterscheibe an.
Unser Leben teilen.
Da ist die Vorstellung von einem anderen Mann. Sagen wir mal, ein Radrennfahrer oder ein Abwasserfachmann. Auf alle Fälle
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