Das Gegenteil von Schokolade - Roman
für wenige Augenblicke sogar glücklich.
Dann werde ich manchmal richtig sauer. Ich habe mich doch nicht aus einer langjährigen Beziehung gelöst, um jetzt in einer verwirrenden Sackgasse der Fantasie zu landen.
Aber ich schaffe es nicht, dort hinauszufinden.
Nicht einmal im Traum denke ich daran, die abendlichen Unterhaltungen einmal ausfallen zu lassen. Weil ich nicht will.
Das Schlimmste, was uns angetan werden kann, das tun wir uns selbst an, hat Emma neulich einmal geschrieben. Ich denke, sie hat Recht. Ich tue mir etwas an, indem ich nichts einfach so lassen kann, wie es ist. Ich muss nachdenken und grübeln und möchte zu einem Fazit gelangen. Was ist das hier, was ich gerade erlebe? Welche Überschrift hat dieses Kapitel meines Lebens?
Dass ich das nicht weiß, ist mir unangenehm. Deswegen spreche ich mit niemandem darüber. Auch mit Emma nicht. Natürlich nicht. Denn sie glaubt ja immer noch, dass meine beendete Beziehung die mit einer Frau war.
Ja, ich habe es ihr immer noch nicht gebeichtet.
Nachdem Michelin mich dreimal danach gefragt hatte, habe ich ihr völlig angenervt versprochen, ihr sofort von Emmas Reaktion auf eine derartige Eröffnung zu berichten, falls ich es jemals über mich bringen sollte.
Seitdem begegnet mir jeden Morgen im Büro Michelins zaghaft fragender Blick. Aber sie verdrückt sich Gott sei Dank jeden Kommentar.
Gestern schrieb Emma: mein coming-out war grässlich. es war nicht so, dass ich mich geschämt hätte oder so. aber ich hatte furchtbare angst, dass ich alle meine freundinnen verlieren würde. ich hatte sogar angst, dass meine eltern mich verstoßen würden. scheine wohl insgesamt ein ziemlich hasenhafter typ zu sein … ggg …
Das klang in meinen Ohren recht vertraut. Tatsächlich ist es genau das, was ich auch fühle in Bezug auf meine Lothar-Beichte bei ihr. Ich war heilfroh, dass sie mich nicht fragte, wie mein Coming-out gewesen sei. Dann hätte ich ihr wohl antworten müssen, dass es noch aussteht. Und dass es sich dabei um ein Coming-out als »eher Heterosexuelle« handeln würde.
Zweifellos wäre sie zu Recht empört darüber, dass ich sie so lange im Unklaren gelassen habe.
Zweifellos macht jeder weitere Abend, an dem wir uns auf unseren Computerbildschirmen treffen, alles nur noch schlimmer.
Tatsache ist, dass ich selbst nicht mehr so genau weiß, was ich eigentlich bin.
Ich stelle mir vor, dass ich ihr die Wahrheit sage und sie dann antwortet: ach so! du stehst also auf männer!
Und dann würde ich ziemlich belämmert hier sitzen.
»Ich meine, ich kann doch jetzt nicht einfach so tun, als sei sie mir nicht begegnet. Oder als wäre es einfach nur so eine ›stinknormale Frauen-Kumpelschaft‹, erkläre ich Loulou, die dem Ganzen sehr gelassen gegenübersteht.
Das Telefon klingelt. Ich sehe auf die Uhr. Es ist kurz nach sieben. Niemand ruft mich um kurz nach sieben an. Höchstens meine Mutter, die wissen möchte, ob ich inzwischen »den Richtigen« kennen gelernt habe.
»Hm?«, melde ich mich daher nicht besonders engagiert.
»Hi«, sagt eine mir leicht vertraute Frauenstimme. »Ich hoffe es ist okay, wenn ich mir die Telefonnummer aus der Kartei gemopst habe. Ich dacht, es interessiert dich vielleicht, dass da am Wochenende ein kleiner Kurs läuft, an dem Loulou bestimmt Spaß hätte. Ich werd auch hingehen, mit einem Dauergast der Hundepension. Und heut habe ich erfahren, dass noch ein Platz frei ist … Oh, hier ist übrigens Antonie.«
Telefonnummer aus der Kartei gemopst.
Mein Lachen klingt eindeutig wie eine Alarmsirene. Hoch, schrill, aufgeregt. An sie habe ich gerade nicht gedacht. Schon länger nicht. Logisch, ich bin ja die ganze Zeit nur mit Emma beschäftigt. Aber trotzdem ist es keine alltägliche Form der Überraschung, die ich spüre.
»Hallo! Na, das ist ja eine Überraschung.«
Antonie lässt hörbar Luft ab. »Jetzt hab ich dich überrumpelt, was? Willst du trotzdem hören, worum es geht?«
»Sicher. Ich meine, wenn du schon mal anrufst«, setze ich hinzu und stelle erschrocken fest, dass das so klingt, als hätte ich sagen wollen: Warum hast du nicht schon früher angerufen?
Ich glaube, Antonie hat das auch so empfunden, denn sie stutzt für einen Augenblick, bevor sie mir sturzbachartig von einem Hundesport-Schnupper-Kurs am Samstag berichtet.
Wie sie das erzählt und mit welcher Begeisterung, steckt sie mich glatt an. Vielleicht ist es auch der Adrenalinschub, der mich überschwemmt hat, als ich ihre Stimme
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