Das Gegenteil von Schokolade - Roman
immer nur zart streichelnd im Bett liegen. ›Blümchensex‹ nennt Michelin das grinsend.
Nein, ich denke, dass ich mir schon durchaus ein Bild davon machen kann, wie es wohl wäre. Sowohl das Zarte als auch das Wilde. Und wenn ich meine Träume erinnere, in denen sowohl das eine als auch das andere eindrucksvoll vorkommt, dann vertraue ich denen eher als einem für Voyeuristen produzierten Hochglanzmagazin.
Also wäre die Behauptung, ich wüsste nichts darüber, einfach totaler Unsinn.
Aber wem gegenüber sollte ich das behaupten? Niemand fragt mich danach. Alle sind ja schon von der bloßen Tatsache, dass eine Frau mich auf diese gewisse Art und Weise interessiert, völlig von den Socken.
Alle sind ganz wild darauf, sich endlich ein klares Bild von meiner zukünftigen Lebensweise und sicherlich da einbezogen auch der Sexualität machen zu können.
Und wenn ich ehrlich bin, lässt mich diese Überlegung auch nicht ganz kalt.
Vielleicht bin ich bisexuell? Vielleicht bin ich lesbisch? Aber was, wenn ich einfach nur ICH bin? Ohne erläuternden Zusatz. Ohne Aufschrift, die es allen Frauen und Männern leichter machen würde, mich zu katalogisieren und mich mit dem beruhigenden Gefühl der Berechenbarkeit in einer Schublade verschwinden zu sehen.
Ich wäre wirklich heilfroh, wenn ich mich nicht definieren müsste. Nicht den Menschen gegenüber, die mich mit fragenden Gesichtern umgeben. Und auch nicht vor mir selbst.
Meine Liebe zu Lothar wische ich jedenfalls nicht einfach weg wie Kreide von einer Tafel.
Warum immer sagen müssen, ich gehöre hierhin, ich gehöre zu euch, so wie ihr euch definiert? Warum nicht einander so sein lassen, wie man ist? Ausschließlichkeit, wer kann das schon? Vor drei Jahren zum Beispiel, da haben Lothar und ich überlegt, ob wir ein Kind möchten. Da hätte ich doch nie im Leben daran gedacht, dass wir uns trennen und dass ich jetzt plötzlich solche Gefühle entwickeln kann für eine Frau … oder, na ja, zugegeben: zwei Frauen.
Machen zwei Frauen, die in mir gewisse Dinge auslösen, mich schon lesbisch?
Alle sind so schnell bei der Hand mit ihren Diagnosen und Schubladen. Ich will das wirklich nicht.
Was ich aber unbedingt will, ist Lothar zu sehen. Ich vermisse ihn, und sogar die beiden Katzen fehlen mir in der letzten Zeit. Das ist ein absolutes Alarmzeichen.
Also mache ich mich nach der Arbeit auf den Weg zu seiner Wohnung.
Als Loulou die Gegend erkennt, wird ihr Trab noch ausgreifender. Als wir in die Straße einbiegen, galoppiert sie voraus zum Haus. Ich muss über ihren Eifer lächeln. Aber ein bisschen stimmt ihr fröhliches Lächeln, das sie nur in größter Freude zeigt, mich auch wehmütig.
Er öffnet nicht. Wahrscheinlich ist er nicht da.
Meine Hand liegt an der Tür, als würde ich trotz mehrmaligem vergeblichen Klingeln immer noch hoffen, dass der Summer geht und die Tür aufspringt. Loulou jankt ein bisschen und schaut mich auffordernd an.
Der Schlüssel hängt zu Hause an meinem Schlüsselbrett. Nicht mehr an meinem Bund, den ich jeden Tag mit mir herumtrage. Ich kann es nicht ausstehen, Schlüssel mit mir herumzuschleppen, die ich nicht ständig brauche. An meinem Bund sind nur mein Autoschlüssel, mein Haus- und Wohnungsschlüssel und die Schlüssel zum Büro. Den Schlüssel zu Lothars Wohnung, die mal unsere gemeinsame war, habe ich mit klammen Fingern aus dem Ring gefummelt. Den brauche ich nicht ständig, habe ich dabei gedacht. Nur vielleicht im Sommer, wenn er – ohne mich – in Urlaub fährt und ich die Katzen und die armen, von eben jenen Katzen malträtierten Grünpflanzen versorge.
Jetzt würde der Schlüssel mir auch nichts nützen. Jetzt würde ich zwar hineinkommen, aber dann würde ich in der Wohnung stehen, die einmal mein Zuhause war, wahrscheinlich müde begrüßt von zwei gelangweilten Schnurrbartträgern. Was würde ich allein in dieser Wohnung machen? Außer mich grässlich einsam zu fühlen?
Der Gedanke, wo Lothar sein könnte um diese Uhrzeit, wabert in meinem Kopf herum wie eine gewaltige Wolke dunkelblauer Tinte.
Sonst war das doch immer die Zeit, zu der er ganz sicher zu Hause anzutreffen war. Zwischen Arbeit und eventuellen Abendaktivitäten. Vielleicht sogar in der Badewanne, mit einem halben Glas Wein. Dann würde er natürlich nicht die Tür öffnen. Lothar ist nicht so neugierig wie ein Eichhörnchen oder wie ich und lässt sich von jedem x-beliebigen Hermes-Boten aus der Wanne schellen: Päckchen für den Nachbarn.
In
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