Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Vielleicht gerade deswegen, weil sie selbst sich niemals mit derartigen Zweifeln quält. Ich kenne wirklich keine andere Frau, die ihre Entscheidungen derart reflexartig und sicher fällt wie sie.
»Vielleicht hat sie einfach Spaß am Spiel?«, mutmaßt Jackie jetzt. »Kann doch sein, dass du nicht die Erste bist, mit der sie so ein Hickhack veranstaltet. Es soll ja Frauen geben, die so was geradezu als Hobby betreiben.«
Michelin legt ihre Hand auf den Arm der Freundin. »Lass uns mal nicht vom Schlimmsten ausgehen.«
»Das Schlimmste?«, echot Jackie temperamentvoll. »Das Schlimmste wäre, wenn sich herausstellt, dass sie in ihren Mails heimlich kleine Viren mit einschleust, die …«
»Jackie?!«
»Schon okay.«
Ich muss über die beiden lachen, obwohl ich mich jetzt noch mehr verunsichert fühle.
Michelin merkt mir das wohl an, denn sie nimmt einen letzten Schluck aus ihrer Tasse und steht auf.
»Jetzt müssen wir aber in die Pofe, sonst sieht es morgen düster aus mit den Bürozeiten. Kommst du um halb zehn?«
Kommt drauf an, wen ich so auf dem Berg beim Spaziergang treffe, denke ich, aber sage nichts, sondern nicke nur und begleite die beiden zur Tür.
Als Jackie in ihre Jacke schlüpft, grinst sie mich noch einmal auf ihre fröhliche Art an und teilt mir mit: »Übrigens find ichs toll, dass du entdeckt hast, dass du lesbisch bist!« Ich schlucke. Mein Hals fühlt sich plötzlich heiß und trocken an. »Bei manchen dauerts eben länger. Und braucht ein paar Jahre Erfahrung mit der anderen Art«, fährt Jackie fort und zwinkert mich an.
Mein Hilfe suchender Blick zu Michelin rettet mich auch nicht wirklich. Denn sie wirft nur die Arme um mich und umarmt mich lange zur Verabschiedung. Ihr fester Druck sagt mir, dass auch sie manchmal nichts mehr zu sagen weiß.
Hinter den beiden schließe ich die Tür ab und lausche auf ihre Schritte im Treppenhaus und Jackies leicht beleidigte Stimme, die nölt: »Das konnte ich doch nicht wissen. Ich dachte, das wäre alles schon sonnenklar. Meine Güte, hab dich doch nicht so …« Und dann fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss.
Still stehe ich dort und lehne am Türrahmen.
Der Baum schweigt heute Abend.
Als ich hinüber ins Bad gehe, fällt es mir plötzlich wieder ein.
Ich sehe Hildes Gesicht vor mir. Eine blasse, dünn gewordene Frau mit unglücklichen Augen und einem Zug um den Mund, der von großem Kummer spricht. Die ganze unselige Geschichte fällt mir mit einem Schlag wieder ein. Doch das Bild, das ich vor mir sehe, ihr Anblick bei unserer ersten und bisher einzigen Begegnung, das war, als sie wieder mit Thorsten zusammen war. Eingetaucht in die dumpfe Sicherheit einer festen Beziehung, in der sie doch ganz offensichtlich nicht mehr glücklich war.
Versunken stehe ich einen Augenblick vorm Badspiegel und starre mich an.
Warum ist sie zurückgegangen damals?
Warum war es nicht mehr als ein Versuch?
Wollte sie vielleicht einfach irgendwo ganz sicher dazugehören?
6 . Eine Nacht bedeutet gar nichts
Es wäre einfach, zu gehen. Sie dachten beide daran und taten es nicht. Ihr Kampf hatte sie ermüdet, und nach einer Schlacht trafen sie einander unvorbereitet ohne Panzer, mit nackter Haut. Und da erinnerten sie sich. Sie stellten die Waage auf und warfen in die Schalen, was ihnen einfiel. Die Waage schlug aus.
(Seite 145 des Romans »Von der Umkehr der Endgültigkeit«, Patricia Stracciatella)
D as kann gar nicht sein.
Ich werde nicht lesbisch, nur weil eine Frau mir täglich zwanzig Mails in meinen Postkasten schickt.
Aber vielleicht kann ich lesbisch werden, weil eine andere Frau mich mit ihren Blicken so durcheinander bringt, dass ich glatt die ganze Nacht von ihr träume.
Ach ja, solche Träume gibt es also auch noch. Die haben mich eine ganze Weile nicht bedacht. Aber offenbar wollen sie jetzt aufholen, was sie jahrelang versäumt haben.
Natürlich würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wie es wohl wäre mit einer Frau.
Und das liegt bestimmt nicht an dem Video, das Katja einmal mitbrachte, aus der Sammlung des Vaters ihres damaligen Freundes. In dem Porno haben es auch zwei Frauen miteinander gemacht. Aber mir war schon mit vierzehn klar, dass die Realität anders aussehen muss. Diese beiden stark geschminkten Darstellerinnen, die den Großteil des Films mit weit aufgerissenen Mündern agierten, wirkten mehr als künstlich.
Genauso tumb wäre es wohl, sich vorzustellen, dass zwei Frauen
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